Klimaaktivisten gegen Kunst: Kulturgut in Gefahr?

Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation” haben im Leopold Museum das Gemälde „Tod und Leben” von Gustav Klimt mit Öl überschüttet.

Attacken gegen Kunstwerke sind ein globales Phänomen geworden: Welche Folgen der umstrittene Protest für Kunstwelt und Klimabewegung hat und wie Frankfurts große Museen reagieren.

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Frankfurt/London/Berlin. Es ist der 29. Juni 2022. In der Kelvingrove Art Gallery in Glasgow steht eine junge Frau und redet laut auf Besucher ein, die unbeeindruckt durch das hohe Gewölbe schlendern. Auf der Empore kleben zwei andere Frauen sich am Rahmen des Gemäldes „My Heart’s in the Highlands” fest, einem Bild des schottischen Landschaftsmalers Horatio McCulloch. Auch sie werden kaum beachtet. Irgendwann wird der Raum doch abgesperrt, ein Polizeiauto fährt langsam vor: Das ganze Ereignis, bis heute nachzusehen in einem Youtube-Video auf dem Kanal der Umweltaktivistengruppe „Just Stop Oil”, wirkt eher unspektakulär. Und ist doch der Auftakt zu einer Protestserie, die die Kunstwelt erschüttert wie kaum eine zuvor.

Im Laufe weniger Monate sind Attacken von Klimaaktivisten gegen Kunstwerke zu einem globalen Phänomen geworden: Aktivisten der „Ultima Generazione” klebten sich im Juli in Florenz am Glas von Botticcellis „Frühling” fest. In Londons Nationalgalerie bewarf „Just Stop Oil” Mitte Oktober Van Goghs „Sonnenblumen” mit Tomatensuppe – die erste Aktion, die weltweit Aufsehen erregte. Wenig später nimmt in Deutschland die Debatte mit einer Kartoffelbrei-Attacke der „Letzten Generation” gegen Monets „Getreideschober” in Potsdam Fahrt auf. Aktionen in Madrid, Australien, Kanada, Oslo folgen, Mitte November in Wien das Beschmieren von Klimts „Tod und Leben” mit einer ölartigen Flüssigkeit und zuletzt eine missglückte Aktion in der Elbphilharmonie – wer weiß, ob die Serie damit zu Ende ist.

Aktivisten bringen Bildungsbürgertum gegen sich auf

Rund um den Globus befeuern sich Anhänger der verschiedenen Aktivisten-Gruppen, auch aufgrund des Echos, das die Aktionen in Internet und Medien hervorrufen. Und sie bringen damit das gebildete Bürgertum gegen sich auf. „Kunst für den Klimaschutz zu attackieren – das ist aus meiner Sicht definitiv der falsche Weg”, betonte Kulturstaatsministerin Claudia Roth nach der Attacke in Potsdam. Und selbst der Pianist Igor Levit, der bereits für Fridays for Future und im Hambacher Forst Klavier spielte, zeigte sich verständnislos: „Wenn Du etwas Schönes bewahren willst, warum verletzt/zerstörst Du etwas Schönes?” fragte er auf Twitter.

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Nun sind Attacken gegen Kunst im Kampf für politische Anliegen nicht neu. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts setzten Suffragetten sie in ihrem Kampf für das Frauenwahlrecht ein: Mary Richardson zerschnitt 1914 in London Velásquez’ Gemälde „Venus vor dem Spiegel”, um gegen Emmeline Pankhursts Inhaftierung zu protestieren. Anders als bei den heutigen Klimaprotest-Aktionen, deren Schaden sich bisher, dank schützender Glasflächen, auf Rahmen und Ausstellungsräume beschränkt, wurde ein Kunstwerk dabei beschädigt. Gleichzeitig lag aber der inhaltliche Bezug zwischen Anliegen und Gemälde näher, während sich heute der von einem Sprecher des Deutschen Museumsbunds geäußerte Gedanke aufdrängt: „Wir werden von den Klimaaktivisten instrumentalisiert, um Aufmerksamkeit zu erregen – auf Kosten des Kulturguts.”

Frankfurter Schirn sieht Konflikt zweier Werte

Zwei Werte stehen sich hier gegenüber: die gesellschaftlich dringend gebotene Lösung der Klimakrise und der nicht minder wichtige Schutz unseres Kulturguts. Gerade in Deutschland wecken Attacken gegen Kunstwerke ungute Erinnerungen – und nicht umsonst gibt es seit 1954 einen Abschnitt der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in Kriegen. Es ist ein Dilemma, das sich nicht einfach auflösen lässt.

Auch die Kunsthalle Schirn als eines der größten Museen in Frankfurt äußert sich ambivalent zu den Aktionen: „Der Protest und der zivile Ungehorsam der Aktivist:innen ist in Anbetracht der aktuellen Dringlichkeit der Klimakrise nachvollziehbar und wichtig”, heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage einerseits. Der Schutz unseres Planeten, der Zukunft unserer Kinder sei unsere Aufgabe als Gesellschaft und Grundlage unserer menschlichen Existenz. Im eigenen Haus setze die Schirn bewusst auf Klimaschutz, geplant sind Solaranlagen und eine Begrünung der Fassade. Gleichzeitig gelte: „Als Kunstinstitution haben wir einen weiteren gesellschaftlichen Auftrag: Kulturgut zu bewahren und zu schützen. Diese beiden Anliegen stehen sich im Protestakt gegen die Kunstwerke entgegen.”

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Konkrete Maßnahmen hat die Kunsthalle bereits getroffen: „Unverglaste Werke wurden geschützt, die Taschenkontrollen intensiviert und das Sicherheitspersonal geschult”, so Museumssprecherin Johanna Pulz. Man beobachte die Gefährdungslage, das Sicherheitskonzept habe hohe Standards und werde kontinuierlich überprüft, Details könne man aus Sicherheitsgründen nicht nennen.

Ähnlich äußert sich auch das Frankfurter Städel: Hier dürfen etwa Taschen und Rucksäcke nun generell nicht mehr mitgenommen werden. Besucher reagierten „sehr verständnisvoll”, so Sprecherin Pamela Rohde. Das Städel war im August von einer Aktion betroffen: Angehörige der „Letzten Generation” klebten sich am Rahmen von Nicolas Poussins „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe” fest. Unmittelbar danach habe das Städel „Anzeige wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbesuch” erstattet, so Rohde. Die Höhe des Schadens stand da jedoch noch nicht fest: Er beläuft sich auf 7000 Euro. Der Rahmen konnte „durch eine fachgerechte Restaurierung” repariert werden.

Frankfurts Städel: Leihgabenverkehr nicht beeinträchtigt

Offen ist, welche längerfristigen Folgen die Protestaktionen haben – sowohl für die Kunstwelt als auch die Klimabewegung. Zumindest von Beeinträchtigungen des Leihgabenverkehrs aus Angst vor Schäden ist im Städel noch nichts zu spüren: „Keines der leihgebenden Museen und keine Privatperson erwog, Leihgaben für die aktuelle Ausstellung „Guido Reni. Der Göttliche” zurückzuziehen”, berichtet Rohde.

Doch längst nicht jedes Museum hat die Mittel dazu, Schutzmaßnahmen nachzurüsten oder Kosten für Restaurierungsmaßnahmen aufzufangen. Und obwohl Aktivisten bisher gezielt nur verglaste Gemälde attackiert haben: Auch unbeabsichtigt kann irgendwann ein Schaden am Kunstwerk entstehen: „Die verantwortlichen Aktivisten unterschätzen die Zerbrechlichkeit dieser unersetzlichen Objekte”, hieß es vor Kurzem in einem Statement des Internationalen Museumsrats (Icom).

Die Konsequenzen für einzelne Klimaaktivisten zeichnen sich indes bereits ab: In London wurden zwei Angehörige von „Just Stop Oil” für ihre Aktion gegen Van Goghs „Pfirsichbäume in Blüte” zu drei Wochen Haft verurteilt. In Den Haag erhielten drei „Just Stop Oil”-Aktivisten für ihre Klebe-Attacke auf Vermeers „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge” je zwei Monate Haft.

Vermeers „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge” (1665-1667) wurde Ende Oktober Opfer einer Klebe-Attacke von Aktivisten der Gruppe „Just Stop Oil”.
Vermeers „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge” (1665-1667) wurde Ende Oktober Opfer einer Klebe-Attacke von Aktivisten der Gruppe „Just Stop Oil”. (© dpa)

Unklar ist noch, wie sich die Aktionen auf die Klimabewegung als Ganzes auswirken – jenseits der aktuellen Empörung, die sich jedoch stärker an Straßen- und Flughafenblockaden entzündet, die Aktivisten von Montag an wieder verstärkt durchführen wollen, als an den Kunst-Attacken. Der Meinung, hier formiere sich eine „Klima-RAF” oder es gebe eine Radikalisierung der Klimabewegung, widersprechen Wissenschaftler des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung: Man müsse eher von einer „Ausdifferenzierung der Protestformen innerhalb der Klimabewegung” sprechen. Schließlich gebe es immer noch viele friedliche Demos, zudem werde Gewalt gegen Personen nach wie vor kategorisch abgelehnt, so Sebastian Haunss, Professor an der Universität Bremen.

Aber schaden die Klimaaktivisten ihrem Anliegen nicht, indem sie Unterstützer verprellen? Auch hier ist die Lage nicht eindeutig. Viele Historiker gehen so zwar heute davon aus, dass die radikalen Aktionen der Suffragetten wenig zur Erlangung des Frauenwahlrechts beitrugen oder sogar kontraproduktiv waren. Der britische Psychologie-Professor Colin Davis hat in Studien jedoch herausgefunden, dass Aktivisten sich mit Aktionen, wie sie jetzt von „Just Stop Oil” und der „Letzten Generation” ergriffen werden, zwar unbeliebt machen – sich diese Ablehnung aber nicht auf das jeweilige Anliegen selbst auswirkt. Sein Fazit: „Wenn die Öffentlichkeit sagt, ich stimme eurem Anliegen zu, aber ich mag eure Methoden nicht, sollten wir sie beim Wort nehmen.”