Kinopolis-Chef warnt vor Schließung bis in den Sommer
Gergory Theile sorgt sich um die Kinobranche: „Mehr als drei Monate werden viele nicht verkraften“, sagt er im Interview.
Gregory Theile allein im Kino: Seine Kinopolis-Gruppe bietet in 17 Städten rund 26 300 Plätze, die dieser Tage allesamt leer bleiben müssen.
(Foto: Kurt Krieger)
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DARMSTADT - Seit Mitte März sind 1734 Kinos in Deutschland geschlossen. Der Hauptverband der Filmtheater rechnet bei einer dreimonatigen Schließung mit einem Minus von 40 Millionen Besuchen, weiter laufenden Kosten in Höhe von 186 Millionen Euro bei Ertragsverlusten von 17 Millionen Euro pro Woche. Fragen zur Corona-Krise an Gregory Theile, den Leiter der Kinopolis-Kette.
Herr Theile, Kinos können in der Corona-Krise keine Filme mehr zeigen. Wer arbeitet bei Ihnen überhaupt noch?
Ab Mitte März haben wir zunächst die Kinos auf die Schließung vorbereitet, technische Ausrüstung runtergefahren. Doch ab 1. April mussten wir an allen Standorten mit insgesamt über tausend Mitarbeitern mit Kurzarbeit auf null gehen. Das ergibt aber nur 60 Prozent des Lohnes. Wir wissen, dass es für den Lebensunterhalt nicht reicht. Deswegen haben wir das für alle noch mal deutlich aufgestockt, damit die Mitarbeiter mit vergleichsweise geringen Einbußen durch diese Zeit kommen. Das machen wir aus eigenen Mitteln.
In Kinos arbeiten ja auch viele Minijobber. Was ist mit dieser Gruppe?
Über 60 Prozent unserer Mitarbeiter sind Studierende oder geringfügig Beschäftigte. Für sie gibt es kein Kurzarbeitergeld. Da wir aber alle Mitarbeiter gleich behandeln wollen, zahlen wir deren Gehalt zum selben Prozentsatz wie das aufgestockte Kurzarbeitergeld derzeit komplett als Betrieb weiter. Das ist allerdings ein enormes Problem, das nicht nur die Kinos, sondern eine Vielzahl von Branchen betrifft und bei dem wir dringend politischen Handlungsbedarf sehen. Wenn diese Beschäftigungsgruppen aus formalen Gründen kein Kurzarbeitergeld erhalten können, bedarf es in der jetzigen Situation eben anderer Mittel, mit denen diese Lücke geschlossen werden kann. Sonst müsste man sich von den Mitarbeitern trennen, und das wollen wir nicht. In einer von Familienunternehmen geprägten Branche sind wir das größte Familienunternehmen. Wir fühlen uns unseren Leuten gegenüber verpflichtet und versuchen über die Verbände, dafür bei der Politik ein Bewusstsein zu schaffen.
DIE KINOPOLIS-GRUPPE
In vierter Generation leitet der promovierte Betriebswirt Gregory Theile (Jahrgang 1974) seit 2004 als geschäftsführender Gesellschafter die Kinopolis/Theile-Gruppe. Das 1905 gegründete Familienunternehmen, das auf eine südwestdeutsche Kinofamilie zurückgeht, hat seinen Sitz in Darmstadt. Die Kinopolis-Gruppe bespielt in 17 Städten 137 Leinwände mit Platz für rund 26 300 Zuschauer vor allem im Süden und Westen der Republik von Bonn bis Rosenheim. Dazu gehören Kinos in Viernheim, Darmstadt, Sulzbach, Gießen und Wetzlar.
Auf welche staatlichen Hilfen können sie bauen?
Es gibt unterschiedliche Programme, von denen einige Zuschüsse beinhalten, die meisten aber helfen sollen, Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Wenn das Kino wieder aufmacht, wird es einige Monate dauern, bis wir wieder ein Niveau wie vor der Krise haben. Das wird nicht vor Spätherbst oder Ende des Jahres sein. Was wir bis dahin an Ausfällen haben, wird nicht mehr nachgeholt. Wir müssen daher sehr viel stärker über Zuschüsse reden. Da ist zwar auf Länderebene schon einiges passiert, allerdings hat es in vielen Ländern eine Begrenzung auf die Programmpreisträger gegeben.
Also Programmkinos mit kulturell besonders wertvollem Angebot.
Ja, aber das geht an der Realität vorbei. Wir haben es mit einem sehr viel breiteren Phänomen zu tun: Wir reden hier über Wirtschaftsförderung und Arbeitsplatzsicherung und nicht über Kulturförderung.
Ihre Kette ist in verschiedenen Bundesländern vertreten. Jedes Land hat aber andere Regelungen. Wie problematisch ist derzeit der Föderalismus?
Das ist ausgesprochen schwierig. Schon vor der Corona-Krise wurde zwar dankenswerterweise das „Zukunftsprogramm Kino“ des Bundes aufgelegt, dieses ist allerdings an die Existenz einer Länderförderung gekoppelt. In Sachsen etwa, wo wir in Freiberg vertreten sind, gibt es keine Länderförderung und dadurch ist uns auch der Zugang zu den Bundesmitteln verwehrt. Das ist natürlich problematisch. Auch die Förderung im Zeichen der Corona-Krise ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich mit zum Teil merkwürdigen Kriterien. In Bayern sind etwa Kinos mit mehr als sieben Leinwände von der Kinoförderung komplett ausgeschlossen. Im Kinopolis Aschaffenburg erhalten wir eventuell 5000 Euro, weil wir dort nur sieben Leinwände betreiben, in Landshut dürfen wir nicht mal einen Antrag stellen, weil es dort elf Leinwände sind.
Es gibt verschiedene Aktionen von Kinos, die Stuhlpaten anwerben, Popcorn oder Gutscheine verkaufen. Kann das in dieser außergewöhnlichen Krise mehr sein als Symbolik?
Es gibt verschiedene sehr sympathische Ideen, aber ich kann tatsächlich nicht sagen, wie viel das bringt, habe jedoch die Vermutung, dass es eher symbolhaft ist. Dabei geht es aber auch darum, dass man etwa über Social Media die Bindung zu seinen Kunden erhält. Es sind schöne Aktionen, und ich will sie nicht kleinreden, doch es wird ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben, wenn man sich daneben Mieten und Personalkosten anschaut.
Streamingdienste haben derzeit Hochkonjunktur. Beschleunigt die Corona-Krise diesen Strukturwandel?
Dass Streamingdienste aktuell besonders gut laufen, ist der aktuellen Situation geschuldet und für uns als Kinobetreiber nicht weiter problematisch. Was wir jedoch mit Beunruhigung sehen, ist, dass manche Filme, die im Kino eben erst angelaufen waren, jetzt ohne Absprache mit uns auf Streamingplattformen angeboten werden. Das widerspricht der Branchengepflogenheit, der zufolge ein Film erst mindestens vier Monate im Kino ausgewertet wird, bevor er dann auf eine Plattform kommt. Das Auswertungsfenster ist für uns Kinobetreiber von existenzieller Bedeutung.
Im Nachbarland Österreich soll es nach derzeitigem Stand frühestens im Juli wieder kulturelle Angebote geben. Was erwarten sie bei uns für die Zeit nach der Schließung?
Bis Ende Juni ist es noch lange hin. Mehr als drei Monate werden viele nicht verkraften. Ich habe kein Gefühl, wie sich die Bundesregierung hier verhalten wird. Wir brauchen auf jeden Fall einen gewissen Vorlauf, weil uns das die Möglichkeit geben würde, als Branche gemeinsam aufzutreten und die Wiedereröffnung auch marketingseitig entsprechend vorzubereiten. Ich kann nur hoffen, dass in ganz Deutschland die Kinos am selben Tag wiedereröffnet werden. Wenn drei Bundesländer aufmachen, die anderen nicht, wird kein Verleiher seinen Film neu starten. Dann passiert die ersten drei Monate gar nichts, weil alle erst mal abwarten, und dann drängen sich im November und Dezember alle starken Filme, die im Frühjahr und Sommer nicht starten konnten.
Was macht Ihnen derzeit Hoffnung?
Ich bin aber zuversichtlich, dass der Wunsch nach geteilten Erlebnissen und damit auch die Sehnsucht nach dem Kino in der Zeit nach Corona wieder groß sein wird.