Peter Pelikan hat für den Ausstellungsraum im Martinsviertel eine Installation zum Gedenken an die amerikanischen Atombombenabwürfe über Japan geschaffen.
DARMSTADT. Ist dieser dicke Junge statt mit Cheeseburgern, Fritten und Coke denn mit Plutonium gemästet worden? Nein, bei dem „Fat Boy“, den man fest verschnürt auf Holzpaletten durchs Schaufenster sieht, handelt es sich bloß um eine Bombenattrappe. Genauer gesagt, eine ausrangierte Gasflasche, auf die das dreiflügelige Warnzeichen für radioaktive Strahlung, nebst allerlei Lettern und Ziffern, bunt aufgesprüht ist. Und überhaupt entspringt der Titel des bulligen Objekts der Verbindung der Namen "Fat Man" und "Little Boy". So nannte die US-Armee die Atombomben, die sie über Hiroshima und Nagasaki abwarfen.
Zur Erinnerung an die direkt bei der Explosion oder an den Spätfolgen zugrundegegangenen Menschen hat Peter Pelikan – exakt 75 Jahre und einen Monat danach – seine Installation eingerichtet. Deren anderer Part: ein knappes Dutzend über die Wände des Kunstpunkts verteilter Frottagen, mit denen der Künstler bei einem Japan-Aufenthalt 2016 sein Langzeit-Projekt fortgesetzt hat. Als Frottage bezeichnet man sowohl eine zeichnerische Methode als auch eine traditionelle Drucktechnik, mit deren Hilfe man die Oberflächenstruktur eines Objektes auf einen Bildträger übertragen kann. Aus den Metropolen der Welt nämlich bringt er Nesseltücher heim, die mit transport- und anwendungsleichten Kaseinfarben vor Ort erstellte Abreibungen stadtspezifischer Gullydeckel tragen.
Um es vorwegzunehmen – seine Ausbeute stammt nicht aus Hiroshima und Nagasaki, sondern aus Tokio. Doch geht es Pelikan hier, wie er einräumt, mehr darum, „Landesstimmung herüberzubringen“. Wofür die Frottagen ein Motivvokabular aufbieten, das von ostasiatischen Schriftzeichen zu großen Wappen-Blüten, komplexen Rosetten, Speichenrädern und Flächenmustern reicht. Im ausgefeiltesten Fall von Funktion plus Ornament trägt der profane Gullydeckel die poetische Szene eines Baums, dem im Frühlingswind die Blütenblätter davonfliegen.
Man mag hier an Max Ernst denken: Als sich die Kreativität dieses Künstlers an den Strukturen eines abgewetzten Hotelzimmer-Parketts entzündete und er davon die ersten Frottagen abrieb, war ihm das Grundlage für weitere Überarbeitung: Halluzinativ zeichnete er ins Vorgegebene hinein, was seine Fantasie ihm diktierte. Statt im Sinne des Surrealismus geht Peter Pelikan zu Werke wie bei einer Spurensicherung. Seine Dokumentation internationaler Gullydeckel-Konterfeis mag, über den Vergleich der Formen, auch den der Kulturen ermöglichen. Gleichwohl spielen malerisch-ästhetische Wirkungen eine wichtige Rolle: wie hier Rostrot und Schwarz sich mischen; wie dort das Pflasterstein-Umfeld des gusseisernen Deckels mit ins Bild kommt; wie anderswo die Rundformen strikt vertikal angeordnet sind oder einander überdeckend. Ins sinnliche Detail versunken, vergisst man leicht den todernsten Anlass des Ganzen. Daran ändern auch die roten Grablämpchen wenig, die Pelikan in den Ecken des Raums postiert hat.