Maxim Biller persifliert mit seinem Roman „Der falsche Gruß“ die aktuellen Debatten über Political Correctness und Cancel Culture.
. Lange tat sich der Literaturbeitrieb schwer mit Maxim Biller. „Das war mein großes Glück“, sagt er selbst dazu. „Wenn die mich gelobt hätten, wenn die mir einmal einen echten Preis gegeben hätten, wäre ich sehr verwirrt gewesen, kurz eingebildet, dann lange deprimiert und dann noch länger nicht ich selbst, weil ich mich im Zerrspiegel ihres Lobs gesehen hätte. Nein, Lob macht unfrei!“ So aber konnte er ganz sein Ding machen und gemäß seinem früh schon formulierten poetologischen Programm als Jude schreiben, was er will, und sich dabei, wie er es mal formulierte, „weder von Gojim, Antisemiten noch Juden“ daran hindern lassen.
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Ein echter Maxim Biller ist auch sein neuester Roman. „Der falsche Gruß“, heißt er. Gerade mal 120 Seiten. Und doch steckt alles darin, was diesen Schriftsteller so unverwechselbar macht. Eine herrlich polemische Persiflage, die mitten hineintrifft in die aktuellen Debatten über Political Correctness und Cancel Culture. Böse, selbstironisch und mit diesem typisch jüdischen Humor, der in Deutschland mitunter zu Irritationen führt. Mit einem verhuschten Hitlergruß im Bistro Trois Minute in der Berliner Torstraße fängt alles an. Oder war es nur das verrutschte Armwedeln eines Betrunkenen? Wie dem auch sei. Danach ist für Erck Dessauer die Welt nicht mehr dieselbe. Eigentlich wollte er mit der Armbewegung nur gegen die totalitären Einschüchterungsversuche von Hans Ulrich Barsilay, diesem Krawallmacher und Menschenverbesserer, protestieren. Aber rechtfertigt das irgendetwas?
Schon bevor seine Karriere als Schriftsteller richtig begonnen hat, sieht Erck seine Felle davonschwimmen. Was, wenn Barsilay in einem seiner Interviews im Deutschlandfunk oder bei 3sat, in denen es „wie fast immer bei ihm um die neuen und allerneuesten Rechten“ geht, beiläufig Ercks Namen erwähnt? „Ab da wäre ich für alle Ewigkeit nur noch der Typ mit dem Hitlergruß, mehr nicht, ein schmutziger, scheußlicher Feuilleton-Nazi, und ich würde nie wieder von einer Redaktion, von einem Verlag einen Auftrag bekommen, höchstens von der Jungen Freiheit …“ Und das nur, weil er quasi „aus Versehen gegen eines der ungeschriebenen Gesetze der großen Umerziehung verstoßen“ hat. Wochenlang liest Erck keine Emails, geht nicht ans Telefon und stiehlt sich morgens zitternd zum Briefkasten, da er fürchtet, sein Buchvertrag werde annulliert. Hat er die Biografie über Naftali Frenkel, diesen sowjetischen Funktionär und Stalin-Schergen, der mit „talmudistischem Erfindungsreichtum“ die Arbeitsslager perfektionierte und Auschwitz so erst möglich machte, am Ende gar umsonst geschrieben?
Maxim Billers schwarzer Humor ist kaum zu übertreffen. Genussvoll spiegelt er sich in seinen Figuren und macht sich lustig über Feuilleton-Debatten, die mitunter absurde Blüten treiben. Dieser paranoide Erck Dessauer ist eine Figur wie sie typisch ist für den 1960 in Prag geborenen Biller, der mit zehn nach Deutschland kam. Ein durch und durch verkopfter Held. Selbst beim Onanieren kann er das Nachdenken nicht sein lassen. Okay, als Kind übte er heimlich vor dem Spiegelschrank im elterlichen Schlafzimmer den deutschen Gruß und ahmte Posen der Zeitschrift „Das dritte Reich“ nach, die ihm sein Großvater Julius aus dem Westen in die DDR schmuggelte. Eben jener Julius, der mit den Worten „so kurz wie bei einem echten Mann“ Ercks hinten und an den Seiten hochgeschorene Frisur lobte - wo der Junge doch nicht die Hitlerjugend sondern Depeche Mode nachahmen wollte. Und jetzt soll er also Nazi sein? Er? Wo er alle Bücher von Primo Levi und Imre Kertész gelesen hat und wie auf rohen Eiern übers Berliner Pflaster läuft, weil er stets fürchtet, auf einen Stolperstein zu treten, der an die deportierten Juden erinnert.
Das alles erzählt Maxim Biller in der für ihn typischen leicht altertümlichen Sprache, die nicht mehr wie in jungen Jahren Thomas Mann nachstrebt, aber sich immer noch gehörig abhebt vom gängigen Umgangsdeutsch. In seinem wunderbar selbstironischen Buch wimmelt es nur so von Anspielungen. Etwa auf seinen Skandal-Roman „Esra“ (2003) oder auf den humorfreien FAZ-Moralismus. Die Linken nimmt er dabei ebenso aufs Korn wie die Rechten, oder die Juden. Die deutsche Geschichte sitzt allen irgendwie im Nacken. Wer Billers Essay „Sind Sie auch ein Linksrechtsdeutscher“ (2019) kennt, wird so manchen darin geäußerten Gedanken auch im neuen Roman wiederentdecken. Der wird Biller bestimmt auch keinen der wichtigen Literaturpreise einbringen. Aber vielleicht ist das ja auch ganz gut so.
Maxim Biller: Der falsche Gruß. Kiepenheuer & Witsch. 120 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-462-00082-5
Von Welf Grombacher