SERIE
Die Gutenberg-Bibel ist das bekannteste Erbe des Buchdruck-Erfinders – aber längst nicht sein einziges. Als Gastautor stellt Stephan Füssel, Inhaber des Gutenberg-Lehrstuhls der Mainzer Uni, in einer kleinen Serie zum Gutenberg-Jahr einige Wirkungsfelder vor.
Johannes Gutenberg hat nicht nur die umfangreiche lateinische Bibel gedruckt – sondern auch populäre Nachschlagewerke: beispielsweise eine kurzgefasste lateinische Grammatik, die ihm von den Schulen und Universitäten reißend abgenommen wurde. Oder Kalender mit aktuellen historischen Ereignissen. Oder eine Auflistung der zum Aderlass und zum Einnehmen von Abführmittel geeigneten Tage (Aderlass- und Laxierkalender). Die Ratgeberliteratur gehört damit unmittelbar zu den ersten Produkten der neuen Druckkunst.
Das geheime Wissen der Kräuterlehre
Auch das Geheimwissen der Kräuterlehre fand so Verbreitung – etwa durch den von Gutenbergs Nachfolger Peter Schöffer in Mainz herausgegebenen „Herbarius“ (1484) und den „Gart der Gesundheit“ (1485). Noch mehr von „geheimem Wissen“, das jahrhundertelang nur in wenigen Handschriften verfügbar war, vermittelt ein populärer Hebammen-Ratgeber von 1513: „Der swangern Frauwen vnd hebammen Rosegarten“, der beim Druckerverleger Martin Flach in Straßburg erschien. Dieses kleine „Taschenbuch“ hatte einen umwälzenden Erfolg, es lassen sich mehr als 100 (!) unterschiedliche Auflagen feststellen. Und nachdem das Buch ins Lateinische übersetzt worden war (De partu hominis), wurde es weiter ins Französische, Englische, Spanische und Holländische übersetzt. Das Wissen selbst, das der Arzt Eucharius Rößlin zusammenstellte, stammte aus einer „Frauenheilkunde“ des Arztes Soranos von Ephesus aus dem 2. Jahrhundert. Im 5. Jahrhundert wurden in den Handschriften zum ersten Mal die unterschiedlichen Kindslagen im Mutterleib bildlich dargestellt. Dieses theoretische, medizinische Wissen fand aber nicht immer den Weg zu den praktischen Helfern, den Barbieren, Chirurgen oder Hebammen. Erst mit dem Buchdruck wurden die Texte wiederentdeckt und auf Deutsch verbreitet. Der Text wandte sich an die Hebammen und die Schwangeren selbst: Es werden zunächst die unterschiedlichen Kindslagen (auch schwierige Fälle: die Füße voraus oder ein Querliegen), die das Eingreifen der Hebamme erforderten, beschrieben, aber auch das Übergewicht eines Kindes thematisiert. Für die Geburt selbst wird ein Gebärstuhl empfohlen (siehe Abbildung), der in dieser Form bis um 1800 Verwendung fand.
Die Hebamme wird – modern anmutend – als eine Begleiterin für die Mutter schon vor der Geburt für Bewegung, Sitzbäder und Ähnliches beschrieben. Neben den chirurgischen Aufgaben der Hebamme wird vor allem die Verantwortung für das leibliche und seelische Wohl der Gebärenden betont, Möglichkeiten der Schmerzlinderung, Ratschläge zum Pressen oder pflanzliche Medikamente werden genau angegeben. Schließlich sind einige Kapitel des Rosengartens der Versorgung von gesunden und kranken Neugeborenen gewidmet; ein Stillratgeber ist beigefügt, wobei zu häufigeren, kleineren Mahlzeiten geraten wird.
Medizinhistorische Einschätzungen der Schrift machen deutlich, dass hier zum ersten Mal eine große Schar von Lesefähigen und Personen, die diese weit verbreiteten Bücher vorgelesen bekamen, Hilfestellungen ganz praktischer und kreatürlicher Art erhielten, die durch die anschaulichen Abbildungen verständlich wurden. Wichtiges Wissen wurde so durch den Buchdruck vielen Menschen zuteil.