Es ist ein prächtiges Buch für ein monumentales Wahrzeichen. Am Dienstag, 24. September, wird „Der Lui“ im Foyer der Darmstädter Sparkasse vorgestellt.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Oliver Stienen sucht in seinen Ansichten des Langen Ludwig Spiegelungen.
(Foto: Oliver Stienen)
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DARMSTADT - Natürlich ist der große alte Mann ganz schön abgehoben. Wie er dort oben in fast vierzig Meter Höhe steht. Offenbar schwindelfrei wacht Ludwig mit einer monumentalen Leibeslänge von fünfeinhalb Metern über dem Platz, der seiner Frau Luise gewidmet ist, schaut aber nicht hinab, sondern nach Westen. Wobei er ein wenig müde wirkt, behäbig fast. Hat ja auch viel erreicht in turbulenten Zeiten, war erst Landgraf, dann Großherzog. In seiner Hand hält er eine Rolle, die man von unten kaum sehen kann und für die Speisekarte eines höfischen Banketts halten könnte. Doch es ist die erste hessische Verfassung von 1820. Und wegen dieses Papiers steht er schließlich seit 175 Jahren einsam an der Spitze.
Zu diesem Jubiläum ist nun der Bildband „Der Lui“ erschienen, so prächtig, wie das Monument, das er feiert. Die Herausgeber Paul-Hermann Gruner und Albrecht Haag haben Aufnahmen von sechs Fotografen ins Zentrum gestellt. Und es sind die Fotografien von Thomas Ott, die den ersten Großherzog zu Hessen und bei Rhein auf Augenhöhe des Betrachters zeigen. Endlich sieht man auch die Verfassungsrolle, die er fast nachlässig in der Rechten hält.
Zwar hatte 1837 ein Bürgerverein die Initiative für das Monument ergriffen, auch um die Errungenschaften des ersten Großherzogs zu betonen, die unter der Regentschaft seines Sohnes ausgehöhlt zu werden drohten, doch eingeweiht wurde das „Ludewigsmonument“ schließlich 1844 als gigantisches Fürstendenkmal. Mit Petersburg und Paris wollten sie im kleinen Darmstadt mithalten.
Oliver Stienen sucht in seinen Ansichten des Langen Ludwig Spiegelungen. Foto: Oliver Stienen
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Paul-Hermann Gruner bescheinigt diesem Unternehmen in seinem munteren Essay denn auch einen „sehr sympathischen kleinen Größenwahn“ gepaart mit „anfallsartiger Grandiosität“. Noch heute wirkt der bronzene Pfahlsteher auf seiner Sandsteinsäule verwegen überproportioniert. Im Darmstadt der 1840er mit seinen 26 000 Einwohnern muss das Denkmal zur Verklärung und Verherrlichung seines Wirkens grotesk größenwahnsinnig gewirkt haben.
Die Darmstädter haben den Mann als „Langen Ludwig“ gleich mal wieder runtergeholt aus dem Himmel über den Heinern und schließlich als „Lui“ quasi in lokalpatriotischer Herzlichkeit zu einem von uns degradiert: ein Großherzog in verbaler Umarmung der kleinen Leute. Als stünde da oben bloß der Bürger Ludwig Lang.
Dazu passt es, dass Werner Mansholt nicht den Langen, sondern die Menschen zu seinen Füßen zeigt. Rahel Welsen porträtiert vom Schlosser bis zum Elektriker Personen, die dafür sorgen, dass die Darmstädter die 172 Stufen zu ihrem Ludwig erklimmen können. Lukas Einsele hat Aufnahmen von Demonstrationen zwischen 1914 und heute zusammengetragen – von der Mobilmachung bis zu Fridays-for-Future-Protesten.
Als klassische Postkartenschönheit huldigt Oliver Stienen der klassizistischen Säule in seinen Aufnahmen, die Sonnenuntergänge, Spiegelungen auf dem Pflaster und Bewegungsunschärfen der Straßenbahn effektvoll aufscheinen lassen. Albrecht Haag wiederum verfremdet den Langen Ludwig durch Langzeitbelichtung immer stärker, bis die Fotos mit ihren verwaschenen Farbfeldern malerisch wirken, ausschauen wie Werke von Gerhard Richter.
Mit dem Blick von heute ist „Der Lui“ eben längst nicht mehr das, als was er 1844 eingeweiht wurde. Das Wahrzeichen der Fürstenmacht ist mittlerweile ein Ausrufezeichen für den Darmstädter Bürgerstolz. Stadtarchivar Peter Engels leistet bei dieser Betrachtung die wichtige historische Einordnung auch mit vielen Abbildungen. Ob man nun Heimatkunde, Architekturgeschichte oder Staatsbürgerkunde studieren will, dieses Buch ragt im langen Regal der Darmstadt-Literatur hilf- und glorreich heraus. Wie sich das für so einen langen Kerl gehört.