Giessen. Als erstes überrascht Katie Freudenschuss ihr Publikum: "Ich bin hier geboren", verriet die Kabarettistin und Musikerin bei ihrem Auftritt im ausverkauften...
. Giessen. Als erstes überrascht Katie Freudenschuss ihr Publikum: "Ich bin hier geboren", verriet die Kabarettistin und Musikerin bei ihrem Auftritt im ausverkauften "Astaire's". Ihr Programm "Einfach Compli-Katie" erwies sich dann als eine gelungene Mischung aus "Liebe und Frauengold, Melania Trump, Kalenderweisheiten und political awareness". Darüber hinaus ist sie eine exzellente Sängerin und Pianistin - und eine Bombe im Improvisieren. Es war nach "Lola Blau" die erste Show im Haus nach dem Lockdown.
Freudenschuss, Jahrgang 1976, studierte in Hamburg Popularmusik und war im ZDF-Comedyformat "Durchgedreht" aktiv, tourte im Duo mit der Kabarettistin Andrea Bongers ("Schuh-Mädchen-Report") durchs deutschsprachige Europa und als Pianistin mit Lena Meyer-Landrut. Überdies spielt sie regelmäßig Impro-Theater ("Hidden Shakespeare" und "Placebotheater"). Eine erfahrene Bühnenkünstlerin also, die routiniert und respektvoll Kontakt zum Publikum aufnimmt. Musikalisch eröffnet sie mit "Compli-Katie", einer witzigen deutschen Version des Liedes, das die schnutige Avril Lavigne als Hit hatte. Sie habe das Problem, als kompliziert zu gelten, "ich stelle zu viele Fragen".
Der Rahmen des Abends besteht in einem Tagebuch, das sie angeblich in ihrem Bühnentisch fand, und das sie im österreichischen Dialekt vorliest. Den bekommt sie als Halbösterreicherin perfekt hin, das wirkt sehr authentisch und zieht den Zuhörer in die Geschichte rein. Zielgruppe sind die Fünfziger, es geht um eine damals 26-Jährige, "immer noch unverheiratet", die ihrer Mutter - und nicht nur der - einige Sorgen bereitet, die durch die Heirat mit dem Chef des Unternehmens beendet werden sollen. Nach einem Absatz steht sie wieder auf, und gibt zu, nach "einer Taille wie Audrey Hepburn" zu streben, deren Maß sie schließlich am Oberschenkel findet.
Doch hauptsächlich geht es um die krasse Ungleichberechtigung der Frauen in den Fünfzigern und Sechzigern, nachdem sie in der Kriegsproduktion sehr wohl die gleiche Arbeit und Qualität wie Männer hatten liefern dürfen. Katie Freudenschuss widmet sich dem Thema gleichsam indirekt und macht an Dingen wie Sex in der Ehe die alltäglichen Hemmnisse der damaligen Zeit deutlich. Schön: Die Gattin verliebt sich in den Briefträger und fasst den Entschluss, die Ehe zu verlassen.
Zwischendurch geht Freudenschuss ganz sachlich dem Mythos der 70 Jungfrauen nach, die vermeintlich die Bombenattentäter im Paradies erwarten, und verblüfft: 60 Ellen seien die groß - sie demonstriert dies gleich mal an einer männlichen Puppe -, unentwegt bereit und verströmten dauerhaften Lobgesang auf den Mann. Außer der Bereitschaft zur Empfängnis seien "unreine" Körperfunktionen abgeschaltet, schmückt Katie Freudenschuss das "gruselige Moslemparadies" weiter aus.
Eine ihrer größten Stärken ist die Fähigkeit, aus eben gesammelten Daten einen Song zu erfinden, zu entweder klassischen Harmonien oder einem Hit, den sie dazu zweckentfremdet. So vertont sie die Liebesgeschichte eines Paares mit fabelhafter Perfektion und dazu noch mit einer wunderbar emotionalen, reifen Stimme - das haut den Saal um.
Ihre Orientierung wird noch klarer, als sie genüsslich über ein ab 1953 erfolgreiches Tonikum namens "Frauengold" herzieht, das Frauen entspannen und zu objektiverem Denken verhelfen sollte - ganz im Sinne des Mannes damals. 1983 wurde das Zeug (16,5 % Alkohol) verboten: nierenschädigend und krebserregend.
Köstlich und voller subtiler Komik ist ihr differenzierter Song über Melania Trumps imaginären geheimen Telefonraum im Weißen Haus, aus dem sie ein belauschtes Telefonat über deren amerikanischen Traum ("Ich kaufte neue Brüste und ein neues Gesicht") vorträgt.
In der Zugabe schließt sie ihre Show und die Liebesgeschichte aus dem Tagebuch mit einem überragenden Improsong (drei ausgewählte Songs werden verwertet) über Gießen. Fazit: "Gießen, Stadt der Liebe". Riesenbeifall für ein angenehm witziges und anspruchsvolles Programm.