Auf der 67. Berlinale setzt Regisseur Jakob Lass ein feministisches Statement: Gewalt und Zorn in Form von sinnlosen Angriffen und Pöbelei, sind nicht nur Kerlen vorbehalten. Die derben Rebellinnen "Tiger" und "Vanilla" bauen die "Hau drauf"-Thematik zu einem satirisch anmutenden Werk aus, bei dem nicht die gebildete Emanzipation, sondern das Ausleben purer Wut das Ziel zu sein scheint.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Die Welt steht Kopf für die Mädchen im Film "Tiger Girl". So greifen sie beherzt zu jenen Waffen, die den Jungs entgleiten. Foto: Constantin
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Das Mädchen Margarethe ist meistens naiv und immer nett. So kommst du nicht weiter, weiß ihre neue wilde Freundin Tiger: Höflichkeit sei eine Gewalt, die sich gegen die Frau richte, behauptet die furchtlose Straßenkämpferin, die sagt, was sie will, und es sich auch nimmt. So ein Knigge taugt demnach wohl bestenfalls dazu, dem gegenüber mit dem Benimmbuch die Nase zu brechen.
Regisseur Jakob Lass, der seine Stoffe gern aus Improvisationen heraus entwickelt, zeigt in "Tiger Girl" den Kampf um Gleichberechtigung als emanzipatorischen Gewaltakt. Beim Krieg der Geschlechter feiert dieser Film den Baseballschläger als Waffe der Frauen. Von Perspektive und Moral keine Spur: Warum sollen zornige junge Mädels nicht genauso sinnlos aufs Maul hauen können wie Macker? Brutalität und Dummheit sind hier kein angestammtes Vorrecht der Kerle mehr. Da kann einem schon kulturpessimistisch zumute werden, wenn man sieht, dass die Gleichheit von Mann und Frau hier so gar keine noble Errungenschaft ist. Das will in dieser Geschichte auf bemerkenswert konsequente Art bloß nicht pädagogisch wertvoll sein und entfaltet aus dieser Verweigerungshaltung heraus eine frische Wut, die das deutsche Kino sonst kaum kennt.
Tiger ist die aggressive Schwester von Cindy aus Marzahn und Pippi Langstrumpf, haust auf einem Dachboden in einer Menage à trois auf Matratzen mit zwei Jungs, die einen auf dicke Hose machen, aber oft keine anhaben. Wenn die pullernden und rülpsenden Lümmel zu sehr nerven, was oft der Fall ist, hat sie aber auch noch einen Wohnbus, in dem ihre eigenen Gesetze gelten.
DER REGISSEUR
Regisseur Jakob Lass (Jahrgang 1981) wurde bekannt durch den Film "Love Steaks", die Liebesgeschichte zwischen zwei Hotelangestellten. Neben drei Schauspielern treten ausschließlich Mitarbeiter eines Hotels an der Ostsee auf. Die Inszenierung setzt stark auf Improvisation.
"Love Steaks" wurde 2014 mit dem Ophüls-Preis ausgezeichnet. (sb)
Ella Rumpf erinnert an die junge Angelina Jolie in "Durchgeknallt", agiert zwischendurch auch fiebrig angeschlagen, dreht aber nicht ab. Sie hat eine anarchistische Agenda, die sie ganz unpolitisch für sich selbst durchzieht. Im progressiven Kindertheater der Siebziger hätte so eine das Zeug zur vorbildlichen Mutmacherin gehabt. Hier sieht sie eher aus wie eine Amazone, die das mit dem Gender Mainstreaming falsch verstanden hat.
Maria Dragus wiederum ist als Margarethe anfangs ein schüchternes Tölpelinchen, plumpst beim Vorturnen vom Bock neben die Matte und im hohen Bogen aus der Aufnahmeprüfung für Polizisten heraus. Nun versucht sie es unter lauter lauten Kerlen bei einer Security-Firma. Als sie der Einzelkämpferin Tiger begegnet, die sie "Vanilla" tauft und ihr Selbstbewusstsein einbläut, entwickelt sich ein feministisches Bildungsprogramm in der Nahkampfschule des Lebens. Das fängt mit zerdeppertem Porzellan an, hört mit blinder Gewalt auf und wäre auf Dauer nur Prolo-Gepolter, wenn Jakob Lass nicht noch nebenher von der Macht der Uniformen erzählen würde.
Im Berlin, durch das die beiden Mädchen erstaunlich unbehelligt marodieren, gibt es offenbar viele rechtsfreie Räume, die sich besonders weit öffnen, sobald jemand eine Jacke anhat, die irgendwie amtlich aussieht. Mit der nötigen Autorität kann man dann einen Parkplatz kapern und Gebühren erheben oder Leute im Kaufhaus buchstäblich bis auf die Unterhose ausziehen. Machtrausch und Kinderspiel fallen hier zusammen in Aktionen, die an Carl Zuckmayer erinnern. Als Security-Sisters vom Kiez gehen sie ran wie der Hauptmann von Köpenick und prügeln aus dem bald schon arg fadenscheinigen Stoff mit Schmackes noch eine Satire raus.
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