Die schwedische Satire über die verlogenen Rituale des Kunstbetriebs hat 2017 die Goldene Palme in Cannes gewonnen. Viele Situationen sind an sozialpsychologische Experimente angelehnt, in denen es darum geht, wofür sich Menschen halten und wie anders sie in Gruppen reagieren.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Inmitten von peinlich berührten Gala-Gästen markiert der Performer Oleg Rogozijn den Gorilla. Foto: Alamode
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Ganz schön gaga, diese Künstler: Eine PR-Agentur will eine hochmoralische Installation bekannt machen, dreht für Youtube ein Video mit einem kleinen Mädchen, das in die Luft gesprengt wird, schon sorgt der Skandal für Publicity. Ein Raumpfleger fegt Schotter aus einer Installation fort, was der Kurator mit der Schaufel vertuschen lässt, und ein Tourette-Patient zerflucht mit seinen Ticks ein abgehobenes Künstlergespräch.
Stoff für eine Verlachkomödie ist also da, doch nichts dürfte dem Schweden Ruben Östlund ferner gelegen haben. In seinem Film "The Square" macht er sich zwar sanft über die Kunstszene lustig, aber im Grunde ist es ihm doch ganz ernst. Solch eine Satire kann wohl nur aus einem skandinavischen Sozialstaat stammen, wo die liberale Gesellschaft in Zeiten von Globalisierung und Terror noch heftig mit ihren Werten ringt, wo ein "Juste Milieu" bei allem Zynismus noch an das Schöne, Wahre und Gute glauben möchte.
Aus diesem bildungsbürgerlichen Geist entstand das Werk "The Square", ein in den Boden eingelassenes Quadrat, das einen Zufluchtsort darstellen soll. Wer dort eintritt, dem soll Hilfe zuteilwerden. Schön ausgedacht. Und schön naiv. Denn im wahren Leben halten sich die besseren Leute zwar für nobel, es schert sich aber keiner um Obdachlose und Bettler, sondern jeder kultiviert seine Ressentiments. Auch Kurator Christian (Claes Bang), der ökologisch gediegen Tesla fährt, sich für die sozialkritische Kunst einsetzt, im Grunde aber ein Spießer ist.
Als der Museumsmann mit der Journalistin Anne (Elisabeth Moss) im Bett landet, will er nach sehr technischem Vollzug des Geschlechtsakts sein befülltes Kondom nicht hergeben, denn er fürchtet den Samenraub. Und als ihm sein Handy geklaut wird, scheut er nicht davor zurück, gleich alle Bewohner in einem Sozialwohnungsblock kollektiv mit Drohschreiben als potenzielle Taschendiebe zu bezichtigen.
Für seine schamhaft eingestandenen Schwächen hat er auch wortreiche Ausreden. Und obwohl er als verklemmter Feigling erscheint, ist er doch ein liebender Vater von zwei kleinen Mädchen, der so gern all die Ideale feiert, die er selbst nicht leben kann.
Natürlich ist das jämmerlich, aber Ruben Östlund gibt seine Figuren nicht dem Gespött preis, denn der Regisseur schaut nicht von außen auf das Szenario. Er selbst hat ein Kunstprojekt namens "The Square" 2014 in Südschweden mitentworfen. Er fragt also wohl auch sich selbst: Warum denken wir gut von uns selbst, aber insgeheim schlecht von den Anderen?
Viele Situationen aus seinem Drehbuch sind an sozialpsychologische Experimente angelehnt, in denen es darum geht, wofür sich Menschen halten und wie anders sie in Gruppen reagieren. Das böseste Beispiel ist die Performance eines Kunst-Provokateurs, der sich bei einer Gala buchstäblich zum Affen macht, die Gäste als menschlicher Gorilla belästigt, eine Frau sogar an den Haaren zerrt. Erst schauen alle betreten weg, dann reagiert einer, und der Mob tobt. Ach, es ist eine Affenschande um den Homo sapiens.
Natürlich hebt Östlund da den Finger, aber nur um sich damit am Kopf zu kratzen. Über 140 Kinominuten grübelt er Moral und Ethik, dem Leben und der Kunst hinterher. Und weil er den Gegenstand seiner Satire nie an den Jux verrät, ist diese Komödie auf bisweilen strenge und spröde Art doch durchweg amüsant. Respekt, da wollte es sich einer nicht einfach machen, da wollte es einer genau wissen. Dafür gab es beim Festival in Cannes 2017 die Goldene Palme.
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