Am Anfang ist Chiron ein schmächtiger Junge, den alle nur eine Schwuchtel schimpfen. Am Ende ist Chiron ein Bulle von einem Drogendealer. Das oscarprämierte Drama von Barry Jenkins erzählt von Ausgrenzung und Identitätsfindung in der schwarzen Community.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Der Drogendealer Juan (Mahershala Ali) kümmert sich um den schmächtigen Chiron/Little (Alex Hibbert). Foto: Verleih
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Am Anfang ist Chiron ein schmächtiger Junge, den alle nur Little und eine Schwuchtel schimpfen, was der Bub nicht versteht. Die Gesellschaft hat ihm schon eine Rolle zugedacht, bevor er weiß, was gespielt wird. Am Ende ist Chiron ein Bulle von einem Drogendealer, der auf den Gangsternamen Black hört. Er pumpt sich mit Hanteln auf und sicher auch mit Steroiden, hat sich wulstige Sixpacks antrainiert, trägt Goldkettchen um den Hals, Goldblenden auf seinen Zähnen und hat eine Krone auf dem Armaturenbrett seines Autos. So wie die Machos aus Gangsta-Videos es vorführen. Die Rolle steht ihm, aber wer er ist, weiß er immer noch nicht.
Das Drama "Moonlight" von Barry Jenkins erzählt von Ausgrenzung und Identitätsfindung in der schwarzen Community. Die Geschichte von Chiron beginnt in den Achtzigern im Problemviertel Liberty City bei Miami. Jenkins und sein Ko-Autor Tarell Alvin McCraney kennen die Gegend und die Menschen, für die sich sonst keiner interessiert. Hier studieren sie nun in drei Akten mit drei verschiedenen Besetzungen, was aus jungen Männern in diesem Milieu werden muss.
Und wonach sie sich sehnen: Bei aller Verwahrlosung ist doch der Wunsch der kaputten Mutter, ihrem Sohn Bildung zu ermöglichen, noch mit Entzugserscheinungen spürbar. Und der Drang des Dealers, ein fürsorglicher Vater zu sein, prägt sich ausgerechnet an jenem Jungen aus, dessen Mom er mit Kokain versorgt. Hier gilt Brecht für Junkies: Erst kommt die Droge, dann kommt die Moral. Barry Jenkins muss dafür nicht den Zeigefinger heben, er konstatiert es nüchtern, während er sein Adoleszenzdrama ausbreitet.
GLOBE UND OSCAR
"Moonlight" gewann den Golden Globe als bestes FilmdramaBei der Oscarverleihung war die Produktion in acht Kategorien nominiert. Ausgezeichnet wurde das Drama als bester Film, für das beste Drehbuch (Barry Jenkins und Tarell Alvin McCraney) und für Mahershala Ali als bester Nebendarsteller.
Alex Hibbert spielt Little, das verstockte Kind, das sich den wuchtigen Drogendealer Juan (Mahershala Ali) als Ersatzvater sucht. Die eigene Mutter ist eine Crack-Hure, die in Gestalt von Naomie Harris allerdings immer zu gut ausschaut für das schlimme Schicksal, das sie verkörpert. Es ist die einzige Position dieses Films, bei der die authentische Anmutung fehlt.
Im zweiten Teil verkörpert Ashton Sanders den Teenager Chiron, der seine Zuneigung zum Klassenkameraden Kevin entdeckt. Nachts am Strand kommen sich die beiden nahe. Für einen kurzen Moment hat das etwas von "Brokeback Mountain" im Ghetto. Doch das homoerotische "Frühlings Erwachen" muss sofort unterdrückt werden, gilt der sanfte Chiron doch ohnehin schon als verdächtiges Weichei.
Also muss er sich äußerlich verhärten. Im Knast wird er zum bulligen Dealer, schaut am Ende fast so aus wie einst sein väterliches Vorbild Juan. Doch in ihm drin ist er noch immer ein kleiner Junge, der nicht raus darf, weil er sonst leiden müsste. Nur das Mondlicht bringt es an den Tag. Darauf spielt der Titel des Films an. In den Stunden, wenn alle Katzen grau und - in der Poesie des Films - alle schwarzen Jungs blau aussehen, kann das wahre Ich heraustreten.
Dass dieser Dreiakter mit drei jeweils anders formierten Ensembles eine erzählerische Einheit bildet, liegt nicht zuletzt an der psychologisierenden Kameraführung von James Laxton, der immer wieder kreiselnd, wackelnd und mit Unschärfen andeutet, welche Welt wir mit wessen Augen sehen. Diesem Blick auf den elenden Alltag ist die innere Not der Figuren eingeprägt.
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