Nun ist also die Zeit des Abschieds gekommen: Charly Hübner verlässt den "Polizeiruf" Rostock. Alexander Bukow streicht die Segel.
Von Kirsten Ohlwein
Abschied: Bukow (Charly Hübner) verlässt nicht nur König (Anneke Kim Sarnau), sondern auch den "Polizeiruf 110".
(Foto: Christine Schroeder/NDR)
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Nach mehr als elf Jahren Gezanke, Gekeife, Geprügel legt Hübner den bärbeißigen Polizisten mit dem großen Herzen ad acta. Vorbei ist’s mit dem Bullen, der immer mit einem Bein in der Gosse steht; der weiß, dass ein Teil seines Wesens vom kriminellen Vadder geprägt ist. "Keiner von uns" heißt der letzte Film mit Hübner als Bukow.
"Keiner von uns" ist dann auch Bukow, der weder zur einen noch zur anderen Seite so richtig gehört. Der raue Polizist mit dem Hang zur Kleinkriminalität? Oder ist er der Kleinkriminelle, der rechtzeitig den Absprung geschafft hat und Bulle geworden ist? Die Autoren Eoin Moore und Anika Wangard zeigen es uns in der Abschiedsvorstellung. Für den letzten Vorhang kramten sie noch einmal tief in der Zauberkiste des Rostocker "Polizeirufs" und überlegten, woraus Bukows letzte große Herausforderung bestehen könnte.
So taucht also Bukows alter Widersacher Zoran Subocek (Aleksandar Jovanovic) auf einmal wieder auf: Er hat seine Zeit im Knast abgesessen, ist wieder draußen und hat nichts Besseres zu tun, als Bukow zu erpressen. Womit? Mit einer Tonbandaufnahme, die Guido Wachs hat aufzeichnen lassen. Wer war noch mal Guido Wachs? Das war der Frauenmörder, den Katrin König (Anneke Kim Sarnau) seinerzeit ins Gefängnis brachte, weil sie Beweismittel fälschte. Und genau dieses Geständnis hat Subocek auf Band: Jetzt will er nach Veit Bukows Tod neuer Chef der Rostocker Unterwelt werden und sich Bukows und auch Königs Dienste sichern. Freunde bei der Polizei schaden schließlich nie.
Mit der Bürde dieses Wissens schlägt sich Bukow erst einmal eine ganze Weile herum, bevor er seine Arbeits- und neuerdings auch Lebenspartnerin einweiht. Diese ist hell entsetzt, hat sie doch gerade erst einigermaßen verdaut, dass sie nach all den Jahren auf einmal in einer Liebesbeziehung steckt.
Und schließlich gibt es auch noch einen Mord: Unterwelt-Boss Tito (Alexandru Cirneala) wurde ermordet im Miau-Club aufgefunden. Der erste Verdächtige: Sänger Jo Mennecke – gespielt von Bela B. Felsenheimer ("Die Ärzte").
Ja, es ist viel, sehr viel los in diesem letzten Hübner-"Polizeiruf". Und ehrlich gesagt ist noch viel mehr los als das oben mehr oder weniger kurz Abgerissene.
Dieser "Polizeiruf 110" hätte ein richtig guter Film werden können, wäre er ein Stand-alone-Film, sprich: ein Film, der für sich steht. Ein Film, der seine eigene Geschichte erzählt, die eben nicht zu einer Reihe gehört, die bis dahin 23 Filme produziert hat. Ein Film, der keine Charaktere hat, die sich seit über elf Jahren entwickelt haben, jeder für sich, sie miteinander, gegeneinander. Ein Film, bei dem es unwichtig ist, dass in früheren Filmen gegebene Informationen und Emotionen stimmig sein müssen. Aber all das ist gegeben. Bukow ist eben nicht mehr der Bulle aus dem Piloten "Einer von uns". Er ist angekommen, wurde von König in die Spur gebracht und in dieser gehalten. Es sind diese viele kleinen Puzzleteile aus 23 Filmen, die im 24. Teil "Keiner von uns" einfach kein großes Ganzes ergeben wollen.
Wir sehen eine Katrin König, die seit dem Vorgänger "Sabine" offensichtlich drei verschiedene Phasen der Beziehungs-Bewältigung durchlaufen hat und sich gerne wahllos von Männern in ihrem Umfeld erzählen lässt, welche nächsten Schritte es zu machen gilt. Ihren Entscheidungsprozessen zu folgen, ist ein bisschen, als würde man im Dunkeln Achterbahn fahren und die Loopings und Schleifen nur ängstlich vorwegahnen, aber nicht kommen sehen. Es geht zu schnell, es kommt zu unerwartet. Und wir sind mit König schließlich nicht gemeinsam in die Achterbahn gestiegen, wir haben nicht gesehen, wie sie emotional an den Punkt gelangt ist, an dem sie in "Keiner von uns" steht.
Wir sehen Sascha Bukow, der sich – huch – kleinkriegen lässt von einem Unterweltboss. Dass Bukow nicht stirbt, wurde vorab bereits verraten – was bleibt also? Bukow knickt ein und geht? Bukow wird eingesperrt? Bukow wird versetzt? Wir wissen es zu diesem Zeitpunkt nicht hundertprozentig, da der NDR sich dazu entschied, die letzten 15 Minuten aus der Filmvorschau zu schneiden, damit keine Spoiler den Weg in das World Wide Web finden. So bleibt vieles Spekulation.
Fakt ist: Nach diesem Film ist Bukow weg und nicht tot. Auch das ist eine fragwürdige Entscheidung. Bukow ist keiner, der in den Sack haut. Bukow ist keiner, der seine Familie zurücklassen würde. Oder doch?
Wir sehen Henning Röder (Uwe Preuss), der im letzten Film "Sabine" noch den säuselnd-liebestrunkenen Chef im Discokugel-Licht gab und sich freute für die zwei Turteltauben, die "endlich glücklich miteinander" werden. Einen Film später ist es ausgerechnet Röder, der für König den wenig charmanten Spruch parat hat, dass es für sie eigentlich den richtigen Mann gar nicht gibt.
Und insgesamt ist ein bisschen bequem, dass alle, wirklich alle Fäden in diesem Film zusammenlaufen. Man ahnt es nach knapp 20 Minuten: Titos Mord, Suboceks Rückkehr, Königs Übersprungshandlungen, Bukows Lügen – alles hängt zusammen. Das sorgt für eine unglaubliche Dichte in der Erzählung, überzieht an manchen Stellen aber auch. Es ist gerade die erzählerische Verdichtung, die bis auf die Spitze gebracht wurde und an Stellen so konstruiert wirkt, dass es eben nicht mehr natürlich ist, nicht mehr organisch, nicht mehr getrieben aus der Geschichte heraus.
Abschließend seien jedoch die wirklich gute Regiearbeit von Moore und die Kamera von Florian Foest erwähnt. Da gibt es – wie immer in Rostock – nichts, aber auch gar nichts zu meckern. Und andere Sonntagabendkrimis sollten dort wieder einmal genau hinschauen, wenn sie was lernen möchten.
Ach, wäre "Keiner von uns" doch nur ein Film-Film gewesen, kein Film einer Reihe, kein Film mit Figuren, die in elf Jahren ihren ganz eigenen Weg gegangen sind. Allerdings ist die Sonntagabend-Krimi-Saison bislang so auffallend schwach, dass auch dieser "Polizeiruf 110" noch als einer der besseren Filme 2021/2022 in die Geschichtsbücher eingehen wird.
Mach’s gut, Charly. Wir freuen uns auf Lina Beckmann (die ab 2022 als Melly Böwe die neue Ermittlerin in Rostock ist) – und irgendwann auf ein Wiedersehen mit Bukow.
Das Erste zeigt den "Polizeiruf 110: Keiner von uns" am Sonntag, 9. Januar, um 20.15 Uhr.
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