Wim Wenders verfilmt den Roman „Grenzenlos“ um Liebende, die sich in der Unterwelt verlieren. Das kunstvolle Seelendrama mit James McAvoy und Alicia Wikander bleibt emotional matt.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Vor dem Abstieg in die Unterwelt: Danny (Alicia Vikander) trifft James (James McAvoy) an der Hotelbar. Foto: Warner
( Foto: Warner)
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Mann und Frau in der Unterwelt – das kennt man ja aus dem griechischen Mythos: Eurydike stirbt, Orpheus zieht mit der Leier hinab ins Totenreich, singt, dass die Furien sanft werden und führt seine Geliebte aus dem Hades – ganz große Oper bei Christoph Willibald Gluck.
Im Kino schickt Wim Wenders nun Mann und Frau getrennt in die Unterwelt: Danny Flinders will den Dingen auf den Grund gehen. Die junge Professorin der Biomathematik soll vor Grönland hinabtauchen bis in jene Tiefseesphäre, die nach dem mythischen Hades benannt ist. James More, offiziell Wasserbau-Ingenieur in Ostafrika, in geheimer Mission aber als Spion gegen Dschihadisten im Einsatz, muss geheimdienstlich abtauchen. Doch dabei landet er in einem Kerker der Al-Shabaab-Milizen, wo es so seelenduster ist wie am Grund des Meeres.
Eine Romanze als Geflecht aus Rückblenden
Diese beiden getrennten Geschichten sind verbunden durch eine Liaison am Strand der Normandie, wo die beiden in einem noblen Landhotel Luft holen wollen vor dem Abtauchen in die Unterwelt. Dabei kommen sie sich näher, verlieben sich, verlieren sich aber wieder aus den Augen. Sie fürchtet, James habe sie vergessen. Danny wiederum ist für ihn die einzige schöne Erinnerung, als er zerschunden in seinem Loch sitzt. So erzählt es der amerikanische Autor J.M. Ledgard in seinem Roman „Submergence“ (auf Deutsch: Das Abtauchen) aus dem Jahr 2011.
Was die beiden Liebenden zusammenhält, sind ja recht dünne Bande. In der Verfilmung von Wim Wenders nach dem Drehbuch von Eric Dignam fällt das zunächst nicht so sehr auf, weil die beiden getrennten Geschichten in ein Geflecht aus Rückblenden zur Romanze eingebunden sind. Da wirkt dann die Liebe mächtiger, als sie eigentlich sein kann, denn Danny weiß ja gar nicht, wer James wirklich ist. Und er kann sich nicht offenbaren – Agenten sterben bekanntlich einsam.
Wim Wenders ignoriert die misslichen Umstände und beschwört lieber die Erotik der Klugheit: Danny kämpft für die Ökologie, James gegen den Terror, beide wollen sie die Welt retten. Alicia Vikander spielt eine junge Wissenschaftlerin, die durch Ernst und Intelligenz attraktiv wird. James McAvoy lässt seinen fiebrigen Blick flackern, wenn der Agent für die Erotik ihrer Klugheit entflammt. Wim Wenders weiß, die Naturschönheit an der Normandieküste, auf den Färöer-Inseln und in Somalias Salzwüsten zu kontrastieren mit Leid und Gewalt, mit Schein-Exekutionen, Steinigung und Handgranatenterror, die hier beiläufig über ihre Opfer kommen. Zwischendrin philosophieren Danny und James in Rückblenden über den Tod und spielen Mikado am Kamin, was vielleicht besser als Sex ist.
Vor dem Hintergrund politischer und ökologischer Schrecken transzendiert diese Liebesgeschichte in ein elegisches Seelendrama, eine Höllenoper der emanzipierten Einsamkeit. Kunstvoll konstruiert, kaum berührend. Wenn Orpheus so drauf gewesen wäre, hätte Eurydike selbst sehen müssen, wo die Hölle ihren Ausgang hat.