Fast 400.000 alliierte Soldaten sitzen Mitte Mai 1940 in der Falle von Dünkirchen fest, eingeschlossen von deutschen Truppen. Soldat Tommy (Fionn Whitehead) ist der Letzte seiner Einheit und versucht, sich als Sanitäter auf ein Rotkreuzschiff zu schmuggeln. Doch jedes Mal, wenn er sich fast schon gerettet wähnt, bricht wieder die Hölle los.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Warten auf Rettung: Harry Styles (von links), Aneurin Barnard und Fionn Whitehead als Soldaten am Strand von Dünkirchen. Foto: Warner/dpa
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Die Flugblätter schweben aus einem grauen Himmel herab. Woher sie kommen, ist nicht zu sehen, dafür ist die Botschaft klar: Wir haben euch umzingelt! Fast 400 000 alliierte Soldaten sitzen Mitte Mai 1940 in der Falle von Dünkirchen fest, eingeschlossen von deutschen Truppen. Doch der Gegner bleibt unsichtbar. Nur ganz am Ende von Christopher Nolans irritierend nüchternem Kriegsfilm erkennt man unscharf deutsche Stahlhelme. Meist aber kommt die Gefahr wie aus dem Nichts: die Kugeln eines Scharfschützen auf fliehende Briten in den Straßen der französischen Hafenstadt und die Schüsse auf den Bauch eines Kutters voller Soldaten. Ein Torpedo schlägt ein, kaum dass einer „Torpedo“ rufen kann, und die Sturzkampfbomber am Strand hört man erst, sieht sie nur kurz und dann wühlen die Detonationen schon den Sand auf.
Bei der Schlacht um Dünkirchen gelang es den Briten, fast 340 000 Mann teils mit kleinen Booten über den Ärmelkanal zurückzubringen: im Rückblick ein glorreiches Desaster und ein moralischer Triumph in der Niederlage. Doch der britisch-amerikanische Regisseur Christopher Nolan (Batman-Trilogie) ist in seinem Film „Dunkirk“ so wenig an patriotischem Pathos wie an einem Schlachtengemälde alter Schule interessiert. Sein Kriegsfilm beschreibt vielmehr mit der Präzision des Feinmechanikers das Ausgeliefertsein der Soldaten gegenüber einer ungreifbaren Gefahr und ist dabei auf verblüffende Weise wortkarg.
Was hier völlig fehlt, ist die Perspektive des Feldherrnhügels. Kenneth Branagh steht als Commander am Pier und grübelt über den Ärmelkanal hinweg der Heimat entgegen. Ansonsten setzt Nolan, der auch das Drehbuch schrieb, auf drei Perspektiven und drei Zeitflächen: eine Woche zu Lande, ein Tag zu Wasser und eine Stunde in der Luft.
DIE SCHLACHT
Das britische Expeditionskorps sowie belgische und französische Einheiten werden im Mai 1940 bei Dünkirchen von deutschen Truppen eingekesselt. Kurz vor der Stadt stoppen die deutschen Panzer, und die Luftwaffe versucht erfolglos, den Gegner vernichtend zu schlagen. Für den deutschen Angriff erweist sich das als schwerer strategischer Fehler, denn dadurch können bei der „Operation Dynamo“ bis zum 4. Juni fast 340 000 Mann über den Ärmelkanal gebracht werden – darunter fast 85 Prozent des gut ausgebildeten Expeditionskorps. Eine militärische Niederlage, aber ein Sieg für die britische Wehrhaftigkeit.
Soldat Tommy (Fionn Whitehead) ist der Letzte seiner Einheit und versucht, sich als Sanitäter auf ein Rotkreuzschiff zu schmuggeln. Doch jedes Mal, wenn er sich fast schon gerettet wähnt, bricht wieder die Hölle los. Tommy, schon mit Namen der typische Engländer, bewährt sich als ein Soldat Sisyphos gegen das Schicksal.
An Land beschwört Nolan den Überlebenswillen und die Disziplin der Truppe, die nicht mehr kämpft, sondern sich in Reih und Glied am Strand anstellt, bis wieder Bomben fallen. Den heroischen Kampfgeist wiederum feiert der Film in der Luft. Tom Hardy ist als Spitfire-Pilot über dem Ärmelkanal unterwegs. Bis ihm der Sprit ausgeht, kämpft er gegen Messerschmidt-Jagdflieger und deutsche Bomber, sieht Kameraden abstürzen und versucht, den englischen Rückzug zu sichern.
Der Patriotismus steht unter dem knorrigen Kommando des Freizeitkapitäns Dawson (Mark Rylance), der als Teil einer zivilen Motorboot-Flottille den Ärmelkanal überquert, um die Marine bei der Evakuierung zu unterstützen. Viel mehr, als stramm Kurs zu halten und ein kurzes Lob auf den süßen Sound der Rolls-Royce-Motoren britischer Jagdflugzeuge anzustimmen, braucht es hier nicht, um Haltung zu zeigen.
Bloß keine großen Worte, nur am Ende ein Propaganda-Appell aus der Zeitung an den nationalen Durchhaltewillen – das reicht Nolan, um von diesem Kapitel des Krieges zu erzählen. Die drei Erzählstränge sind dabei derart in Schleifen verschlungen, dass sich Zeitebenen immer wieder verwirrend verschieben. Dieser Kunstgriff sorgt dafür, dass man sich als Zuschauer so wenig sicher sein kann über die Lage wie die Soldaten.
Allerdings bringt es der Fokus auf exemplarische Details auch mit sich, dass die Dimension des doch eigentlich monumentalen Kommandos verloren geht. Das ist eine Schwäche des Films, mit der allerdings eine sehr eigene Qualität einhergeht. Nie hat man das Gefühl, dass es gilt, Hunderttausende zu retten. Der Nordseestrand wirkt vielmehr oft so weit und spärlich bevölkert, die Straßen von Dünkirchen sind so leer, dass es gespenstisch anmutet.
In dieses Konzept fügt sich die Filmmusik von Hans Zimmer, die über weite Strecken wie das metallische Stöhnen einer Industrieanlage oder wie die Alarmanlage aus Streichern im Orchestergraben klingt. Es mag der Klang der Kriegsmaschine sein. Nolan zeigt nie den ganzen Apparat, sondern nur Teile der Konstruktionsskizze. Das Ergebnis ist paradox: Der Mechanismus wirkt übersichtlich, der Krieg aber bleibt unfassbar.
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