Neu im Kino: „Rimini“ zeigt Schlagerstar als Witwentröster

Richie Bravo  (Michael Thomas) Foto: Neue Visionen
© Neue Visionen

Sänger Richie Bravos verkauft sich als Gigolo an seine Fans. Regisseur Ulrich Seidl betrachtet das Elend gern ganz genau. Deshalb ist er nun auch ins Gerede gekommen.

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. Eben erst ist Ulrich Seidl (69) mit seinem jüngsten Film „Sparta“ in die Schlagzeilen geraten, da kommt sein Drama „Rimini“ in die Kinos. Die beiden Streifen sind „Brüderfilme“, handeln von Ewald, der in Rumänien ein Camp mit Jungs aus armen Verhältnissen aufbaut, und Richie, der als Entertainer in Rimini die Reste seines Ruhms ausbeutet. Nach Berichten in deutschen und österreichischen Magazinen habe Seidl junge Laiendarsteller beim Dreh in Rumänien emotional ausgenutzt und den Eltern nichts davon gesagt, dass es in „Sparta“ um pädophile Neigungen geht. Seidl bestreitet das. Während „Sparta“ erst im Frühjahr 2023 in die Kinos kommen soll, läuft „Rimini“ jetzt bei uns an.

Kurz ist hier auch Ewald (Georg Friedrich) zu sehen, als die Brüder den schwer an Demenz erkrankten Vater (Hans-Michael Rehberg) im Heim besuchen. Doch dann wendet sich Seidl ganz seinem Hauptdarsteller Michael Thomas zu, dem die Figur des abgehalfterten Schlagerstars auf den massiven Leib geschrieben ist: Richie Bravo tritt im winterlichen Rimini vor Bustouristen auf. Für den abendlichen Auftritt schnürt er sich einen Hüftgürtel um, singt „Merci“ mit ganz viel Pathos und zu viel Tremolo. Was ihm sängerisch fehlt, macht er als Schmeichler alter Schule mit routiniertem Charme wett. Schmiere und Schnulze, Schleimerei und Schmalz – die vom Leben enttäuschten Damen lieben es, und das zahlt sich aus. Der Zampano im Seehundfellmantel trägt unten drunter nur Feinripp. Nach der Show wirft er alles ab, gibt Zugaben im Schlafzimmer. Dabei verdient der Gigolo Richie fast so viel wie der Barde Bravo. Doch es reicht nicht, weshalb der Entertainer seine Villa an Fans vermietet und selbst in ein leer stehendes Hotel zieht. Wie Michael Thomas Talmiglanz und Elend dieser Gestalt feiert, dafür gebührt Bravo ein „bravissimo“.

Ulrich Seidl ist ja berüchtigt dafür, dass er erbarmungslos in Abgründen herumstochert. In seiner „Paradies“-Trilogie hatte er vor zehn Jahren am Beispiel von drei Frauen Sextourismus, missionarischen Katholizismus und Diätmarter brutal blank ausgestellt. „Rimini“ wirkt dagegen fast schon zärtlich. Obwohl Seidl sich auch hier nicht scheut, dem Jammer mit der Lust und dem Verfall des Fleisches nah zu kommen, geht er mit seiner Hauptfigur geradezu gnädig um. Und er findet im erst vernebelten, später sogar verschneiten Strandbad eine morbide Poesie. In diese Welt traumverlorener Trostlosigkeit platzt mit zorniger Härte Richies verlorene Tochter Tessa (Tessa Göttlicher), für die er nie gezahlt und sich wohl auch nie sonderlich interessiert hat. Sie will jetzt endlich Geld sehen. Erst versetzt Richie den Schmuck seiner Mutter, dann wird er zum Erpresser.

So wenig wie man ihm als Zuschauer böse sein kann, so wenig will ihn Ulrich Seidl strafen. Von der bisweilen grenzwertigen Methodik, die Seidls Arbeit ins Gerede gebracht hat, lässt hier nur der Auftritt von Michael Rehberg als unverbesserlicher Nazivater etwas ahnen. Es war seine letzte Rolle, der Schauspieler war schwer krank. Doch er wollte es noch mal wissen. Bereits moribund, hat er noch mal alle Kraft mobilisiert, um seine Figur ihrem einsamen Ende entgegenzuführen.