Die Ruinenstadt Palmyra ist zu einem Sinnbild der Kulturbarbarei geworden. Im Mai 2015 besetzten Terrormilizen des „Islamischen Staats“ die antiken Stätten, plünderten...
DARMSTADT. Die Ruinenstadt Palmyra ist zu einem Sinnbild der Kulturbarbarei geworden. Im Mai 2015 besetzten Terrormilizen des „Islamischen Staats“ die antiken Stätten, plünderten und verwüsteten das Weltkulturerbe. Wahrzeichen wie Baal-Tempel und Hadrianstor sind geschleift, die Anlage ist offenbar gespickt mit Sprengfallen. Zwischenzeitlich vertrieben, kamen die Dschihadisten im Dezember 2016 wieder, um im März erneut verjagt zu werden. Der Kampf um Palmyra hat hohen symbolischen Wert, weiß der Filmemacher Hans Puttnies (70) und klagt: Dass neben der Ruinenstadt mittlerweile die Ruinen der durch Pipelines und Flughafen strategisch wichtigen Stadt Tadmor stehen, werde kaum beachtet.
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Auf den Spuren des Mythos
Tadmor mit seinen früher 50 000 Einwohnern verhalte sich zu Palmyra wie Darmstadt zur Mathildenhöhe, sagt Puttnies, der bis 2009 auf der Stadtkrone Kommunikationsdesign lehrte. „Heute aber ähnelt der Ort Dresden 1945“. Puttnies selbst hat die Oasenstadt 2008 für zwei Wochen besucht und von dort acht Stunden Filmmaterial mitgebracht.
„Ich war eingenommen von Menschen, Landschaften und Ruinen, wollte einen sehr persönlichen Film machen, aber das Material blieb liegen“, sagt der Dokumentarist im Gespräch mit dieser Zeitung. „Erst 2015 kam ich wieder darauf zurück. Die Entstehungsgeschichte des Mythos Palmyra hat mich interessiert, durch die Zerstörung stand ich zunächst ganz blöd da. Alle dachten, dass ich jetzt so eine Scoop-Geschichte mache, aber das interessierte mich gar nicht.“
Mit seiner Frau Sigrid als Produzentin und dem ehemaligen Studenten Daniel Kirschbaum, der bei Schnitt und Musik half, hat Puttnies seine Arbeit schließlich vollendet. Nun stellt er den Film ohne Verleih in Kinos vor. Dabei ist ihm, der am Telefon so leidenschaftlich über seine Arbeit reden kann, das Gespräch mit dem Publikum besonders wichtig.
Nicht die Verwüstung der antiken Bauten, sondern der ideologische Kulturkampf ums Weltkulturerbe beschäftigen Puttnies in seinem Film. Im Jahr 1980 hat die Unesco den Ort in die Liste der herausragend bedeutenden Denkmäler aufgenommen. Für den syrischen Staat sei es dabei vor allem ums touristische Image gegangen. „Dass es ein Lebensort von Menschen ist, die gar keine Weltkultur haben, was Recht und Lebensform betrifft“, sei wiederum im Westen ignoriert worden. „Weltkultur ist immer ein Begriff, der aus dem Westen herangetragen wird. Die Propaganda verwendet das in zynischer Weise, das sollten wir durchschauen.“ Denn während die Islamisten die Ruinen zerstören, gerade weil sie das Markenzeichen Unesco tragen, komme von manchen Kunsthistorikern im Westen sofort die Forderung nach dem Wiederaufbau.
Da kann Puttnies auch mal polemisch werden: „Da geht dieselbe Mechanik sofort wieder los: Es ist unser Erbe. Es ist doch vollkommen klar, sollte Syrien irgendwann wieder Frieden haben, dann ist es doch an den Menschen dort, zu entscheiden, wann und wie wiederaufgebaut wird. Der IS legt bloß, dass wir keine vertretbare Haltung haben, wenn wir Kulturgüter höher stellen als die Lebensform der Menschen dort. Wir müssen herunterkommen von der Überlegenheitsperspektive, dass aus europäischer Sicht die arabische Welt geheilt werden kann. Das kann nur innerarabisch gelingen.“
Flucht aus der Ruinenstadt nach Dänemark
Diese philosophische und politische Ebene der Betrachtung wird im Film nur durch die Figur des Souvenirhändlers Mohamed menschlich beglaubigt – und diese Stimme des Films hallt für Puttnies noch heute nach. Der damals fünfzenjährige Junge ist mittlerweile – nach Folter und Flucht – als Asylbewerber in Dänemark angekommen. Übers Internet hat er Kontakt zu Puttnies gefunden. „Er ist 22, sieht aber aus wie 42.“ Der junge Mohamed ist das Gesicht des Films. Der vor der Zeit alt gewordene Mohamed ist sein unsichtbares Sinnbild.