Zwei Darmstädter Ausstellungshäuser zeigen "Sauvage"
Das Kunstforum der TU Darmstadt und das Jagdschloss Kranichstein zeigen ab Samstag, 3. November, die Schau "Sauvage" mit Arbeiten von Angelika Grinzinger und Emmanuelle Rapin.
Von Annette Krämer-Alig
Kulturredakteurin Darmstadt
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DARMSTADT - "Sauvage"? Wild, so die Übersetzung des französischen Titels, wirkt zunächst nichts in der zweiteiligen Ausstellung, die am Samstag im Kunstforum der TU Darmstadt und im Jagdschloss Kranichstein eröffnet wird. Im Gegenteil: In der Objektkunst und den Fotografien von Emmanuelle Rapin, aber auch in den Fotoserien von Angelika Krinzinger scheint alles Leben, jede Individualität und auch jedes Gefühl wie gebannt in Eleganz. Das verlockt wie ein historischer Kontrapunkt im lichten Kunstforums-Saal, scheint sich dagegen fast einzuschmiegen in die barocken Salons des kleinen Schlosses, in dem die Darmstädter Landgrafen und Großherzöge ihre standesgemäße Liebe zur Jagd zelebrierten.
Doch dann geht es näher heran an die Werke, und rasch wächst die Einsicht, dass beide Künstlerinnen mit Wirklichkeitsebenen spielen, in denen Wildheit bis hin zur Brutalität nur reizvoll versteckt ist. Hier wird in Schönheit gestorben - aber auch mit Symbolen dagegen gehalten, die als Relikte ungezähmter Natur aufblitzen. Ganz im Sinn der alten Ideen des "Mementi mori" (Gedenke des Todes!) werden Zierrat und Gepränge als das vergebliche Aufbäumen gegen menschliche Vergänglichkeit entlarvt, wird der "wilden" Natur ihr Recht zurückgegeben.
Krinzingers Kunstfotografien kommen dabei wie alte Gemälde daher - was kein Wunder ist, da sie alle in einer Habsburger-Porträtgalerie entstanden sind. Doch sieht man nicht die adligen Köpfe und Körper, die großformatig Wände schmücken, sondern Einzelhände, die nicht preisgeben, wer da im späten Barock in Pose stand. Seriell gereiht und klein im Format verlieren diese in der Mehrzahl weiblichen Hände (und damit auch die Menschen, denen sie einst gehörten) jene seltsame Unsterblichkeit, die Bildern immer anhängt. Nur individualisiert durch das Ärmelende eines edlen Gewands oder die zarte Blume zwischen den Fingern wandeln diese Hände sich zu historischen Codes, deren Bedeutung verloren ist. Ihre Zeit ist vorbei, ihre Welt ein Rätsel - und es ist auch eine Täuschung, wenn der Betrachter vor dem Porträt, das die "Große Landgräfin" Karoline im Jagdschloss als stolze Jägerin zeigt, meint, sich ins 18. Jahrhundert zurückversetzen zu können. Eingerahmt von zwei "Händen" Angelika Krinzingers wird das Gemälde der Dame im männlichen Rock zu der Kunsthistorie, die es ist.
Zwei Teile einer Ausstellung: Die Schau "Sauvage" ist im Kunstforum der TU Darmstadt (oben) und im Museum Jagdschloss Kranichstein zu sehen. Hier wie dort stellt Emmanuelle Rapin (Bild) ihre Stick-Kunstwerke vor, während Angelika Krinzinger ihre Fotoserie "An Hand" präsentiert. Unser Bild aus dem Jagdschloss zeigt zwei ihrer Arbeiten neben dem Rokoko-Gemälde der "Großen Landgräfin" Karoline (1721-1774). Fotos: Albrecht Haag
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Erste Kooperation dieser zwei Ausstellungshäuser
"Sauvage" ist die erste Ausstellung moderner Kunst im Jagdschloss und eine Kooperation, die von Julia Reichelt, der Kuratorin der Schau im Kunstforum der TU, angestoßen wurde, weil auch die zweite Künstlerin in ihren Werken immer wieder die Frage nach Natur, Vergänglichkeit und Materialität stellt. Emmanuelle Rapin, die in der Waldwelt der Vogesen geboren wurde, beschwört mit Fellen, Vogelfedern oder Marderköpfen gern die Freiheit, aber auch Bedrohlichkeit des Waldes. Was den Betrachter verblüffen muss. Denn er blickt bei ihren Werken zwar immer wieder auf Materialien wie Holz oder Hirschbein, die zu Wald und Jagd gehören, sieht vor allem aber, dass diese Werkstoffe integriert werden: in feinst mit Hunderten von Miniperlen bestickte Haute-Couture-Mode, in schemenhaft bedruckte Seidenschals sowie in Hingucker-Halsschmuck, den Frau durchaus tragen kann, aber auch in surreale Plastiken oder die Werk-Erzählung des Lebens einer jungen Frau, die um 1880 von einem Pariser Psychiater zum Demonstrationsobjekt gemacht wurde, bis sie spurlos verschwand. Ein fast unscheinbarer Höhepunkt ist dabei der Werkstoff eines bestickten Kissens: Es ist blondes Haar, schön wie im Märchen.
ERÖFFNUNG IST AM SAMSTAG
Die Ausstellung wird am Samstag, 3. November, um 18 Uhr im Kunstforum der TU Darmstadt, Hochschulstraße 1, eröffnet, anschließend bringt ein Shuttlebus die Besucher zum zweiten Teil der Vernissage ins Jagdschloss Kranichstein, Kranichsteiner Straße 261. Die Schau ist bis 24. Februar 2019 im TU-Kunstforum jeweils mittwochs bis sonntags von 13 bis 18 Uhr zu sehen, im Jagdschloss Kranichstein mittwochs bis freitags von 13 bis 17 Uhr sowie an den Wochenenden von 10 bis 17 Uhr.
Das Kunstforum lädt am Freitag, 9., von 14 bis 18.30 Uhr sowie Samstag, 10. November, von 9 bis 13.30 Uhr zu einem Workshop ein: Vanessa Geuen, die Leiterin des SchreibCenters der TU Darmstadt, übt mit den Teilnehmern Kreatives Schreiben zur Ausstellung. (aka)
Womit sich ein Denk- und Erlebenskreis schließt. Wie das Märchen oder der Wald haben auch Rapins Werke immer zwei Seiten, sie sind drastisch-schön. Sie verlocken dazu, sich den Sinnen zu ergeben, weil stete Vorsicht eh nichts nützt: Jede Situation hat Unwägbarkeiten, jedes Leben ist Überleben und jeder Stickstich ein Stück dieser Überlebenszeit. Und das figurbetonte Seidenkleid, das seiner Besitzerin den Zugang zur feinen Gesellschaft öffnen kann, schmücken eben nicht nur zarte Glasperlen und anmutige Schmetterlinge. Zum Zierband am Rückendekolleté gehören auch brutale Dornen, Sinnbild für sehr schmerzhafte Grenzen.