Aufbruch ins Ungewisse: "Springer" hat Roger Rigorth seine Skulptur im Atelierhaus zur "Positionen"-Ausstellung genannt. Im Vordergrund ein Glasobjekt von Sabine Hunecke, an der Wand Malerei von Michaela Schrabeck. Foto: Andreas Kelm
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DARMSTADT - Im Baum hängt eine Riesenwurst. Schlaff und leblos, ihr Galgenstrick ist bedruckt mit den Logos von Google, Microsoft und anderen Internet-Riesen. Der Verbraucher ist ein armes Würstchen, den Anbietern ausgeliefert: So erklärt Hanna Rut Neidhardt ihr Textilobjekt, eine klare, wenn auch nicht gerade subtil verrätselte Botschaft.
Solche Direktheit kennzeichnet etliche der Werke, die in der Gemeinschaftsausstellung "Positionen 2018" an vier Ausstellungsorten zu sehen sind. Das liegt am Thema "Digitale Stadt", das ein unübersichtliches und deshalb als gefährlich empfundenes Gelände markiert. Zum zweiten Mal haben sich BBK, Darmstädter Sezession und freie Kunstszene aus der Rhein-Main-Region zu einem gemeinsamen Projekt zusammengefunden, organisiert von Klaus Blecher, Paul Hirsch und zehn weiteren Mitstreitern unter dem Dach des Vereins "Darmstadt KulturStärken". Digitale Stadt, sagt Paul Hirsch, war bislang vor allem ein Thema für Wissenschaft und Technik, "aber die künstlerische Position hat gefehlt."
Das Künstlernetzwerk ist dichter geworden
Rund hundert Bewerber waren dem Aufruf gefolgt, über sechzig wurden ausgewählt und auf die vier Ausstellungsorte verteilt. Das Künstler-Netzwerk in Rhein-Main ist dadurch dichter geworden, ein Vorzug auch für Helmut Müller vom beteiligten Kulturfonds Frankfurt-Rhein/Main: "Das Verfahren und die Thematik machen das Projekt so spannend", lobt er. Es führt auch zu einem sehr unterschiedlichen Ergebnis - in der künstlerischen Haltung, in der Technik und auch in der Aussage. Das lässt diese Positionsbestimmung sehr disparat erscheinen, aber auch abwechslungsreich und unterhaltsam. Kirsten Kötter etwa bringt im Designhaus digitale und analoge Welt auf überraschende Weise zusammen - sie hat Vorträge über digitale Transformation besucht und farbige Aquarell-Protokolle gemalt, auf denen die Fachbegriffe vorbeihuschen, ohne sich zum Sinn zu gruppieren. Ein schönes Bild für die Wortwolken, mit denen Digitalisierung gerne gepriesen wird. Eine Video-Installation von Brigitte Satori Constantinescu mit der Musik von Edith Quis führt vor, wie Bar- und QR-Codes die Welt überlagern, und Ulrike Rothamel fasst die Sorge, dass die Digitalisierung die Welt vom Sinnlichen entfernt, auf drei Gemäldequadraten zusammen - virtuelle Bananen, lehrt eines, kann man nicht essen.
VIER AUSSTELLUNGEN, EIN THEMA
Im Designhaus Darmstadt (Eugen-Bracht-Weg 6) wird die Ausstellung "Positionen 2018" am Donnerstag, 16. August, um 19 Uhr eröffnet. Sie dauert bis 19. September, zu sehen Mittwoch und Freitag 16 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 19 Uhr.
Im Atelierhaus Darmstadt beginnt die Vernissage am Samstag, 18. August, um 19 Uhr, danach ist bis 9. September geöffnet, Freitag 16 bis 19, Samstag und Sonntag 11 bis 19 Uhr.
Weitere Orte sind der Ausstellungsraum Eulengasse in Frankfurt (Seckbacher Landstraße 16, 17. August bis 2. September) und die BBK-Schaustelle in Wiesbaden (Nerostraße 32, 31. August bis 23. September).
Das umfangreiche Rahmenprogramm wird am Sonntag, 19. August, im Designhaus von der Darmstädter Digitalstadt-Gesellschaft eröffnet, die ab 15 Uhr ihre Kulturarbeit vorstellt.
www.positionen2018.de (job)
Der Mensch wird Teil der Maschine: Zoya Sadri zeigt einen Kopf mit Netzwerk-Stecker, Nicola Koch erinnert an Michelangelo und die Erschaffung Adams - aus den göttlichen Armen kommen Elektrokabel. Elke Bergerin hat eine knallbunt poppige Maschinenwelt gemalt, die den Menschen zu zermahlen droht.
Aber es gibt auch komplexere Arbeiten wie ein Zyklus von Erika Heine, der die Erlebnisse einer Krebs-Bestrahlung eindringlich formuliert - das Erlebnis der hochtechnisierten Medizin und des verwalteten Patienten sind Voraussetzung der erfolgreichen Behandlung. Johanna Krimmel hat eine raffinierte Installation in einen dunklen Raum gesetzt, die mit der Allgegenwart des eigenen Bildes spielt und mit der Zudringlichkeit des Blickes - die verfremdeten Porträts auf Handy-Displays verschwinden, wenn der Betrachter zu nahe kommt.
Die digitale Stadt ist für viele der Künstler ein Ort des Beobachtens und Beobachtetwerdens. Zwei Arbeiten setzen sich mit den Bildern von Überwachungskameras auseinander, Birgit Huck im Designhaus macht daraus düstere Momentaufnahmen gestörter Privatheit wie in einer Graphic Novel, Katja Grandpierre im Atelierhaus hat Aufnahmen aus dem öffentlichen Raum auf einer Serie kleiner Tafeln mit irritierenden Punkten überlagert. Im Atelierhaus wird der Besucher auch von einer Figur überfallen, die der Künstler Andreas "El Scorcho" leuchten lässt, ein düsteres Monster mit Stromanschluss und Riesenpenis. Das Netz macht zum Monster, und es macht einsam: Achim Seeger erzählt in Video-Ausdrucken, wie verloren der Mensch vor dem Bildschirm sein kann - so sehr, dass er anderen beim Streicheln zuschaut. Und Michaela Schrabeck fragt danach, was die Digitalisierung mit der Natur macht. In der mehrteiligen Technik fügt sie traditionelle Malerei mit digitalen Drucktechniken zusammen, und mit dem Wachsüberzug kommt eine sinnliche Qualität ins Spiel: Diesen Duft zu verbreiten, schaffen Computer nicht.
Jedenfalls vorläufig. Insgesamt überwiegt freilich die Skepsis, was die Digitalisierung mit der Welt anstellen kann. Zum frohen Digital-Optimismus ist das eine gute Gegenposition. Und es gibt auch einen Ausweg: Im Garten des Designhauses hat Peter Debusi ein Kreuz aufgestellt, das vom digitalen Suizid erzählt, dem freiwilligen Abschied aus der Datenwelt. Die Grabkerze brennt ganz analog.