Kleinplastiken von Rolf Szymanski und Bilder von Henning Kürschner sind in der Darmstädter Galerie Netuschil zu sehen. Was beide eint, ist die Deformation des Vertrauten.
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Bis 17. November in der Darmstädter Galerie Netuschil, Schleiermacherstraße 8. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 14.30 bis 19 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr. Am Freitag, 19. Oktober, führt Claus K. Netuschil um 19 Uhr durch die Ausstellung. (rhd)
DARMSTADT - Der Maler Henning Kürschner und der Bildhauer Rolf Szymanski sind als Künstler weder die Verkünder eherner Gewissheiten, noch spenden sie den Trost leichter Schönheit. Was beide eint – außer der Tatsache, dass beide in Berlin studiert und dort später selbst als Professoren an der dortigen Hochschule der Künste gelehrt haben –, ist bei allen Unterschieden von Technik und Material, dass ihre Werke den Eindruck machen, als sei hier erst mal eine Welt zertrümmert und dann in gänzlich unkonventioneller Optik neu zusammengefügt worden.
Auf den Bildern von Henning Kürschner, die aus den vergangenen acht Schaffensjahren des Künstlers stammen, scheint tatsächlich „Welt“ zumeist eine Welt der Dinge. Wobei man nie sicher sein kann, ob man nun eine Interieur- oder Außensituation vor sich hat. Aufs Hausinnere mag „Schöner Wohnen!“ verweisen, der Titel eines der beiden größten Formate dieser Auswahl. Wie auf einem überladenen Geschenktisch dichtgepackt sind die vor hellblauem Umfeld versammelten Formen, manche von ihnen wirken locker bepünktelt wie in Präsentpapier eingepackt. Doch zielt das Wort „wohnen“ auch in größere Dimensionen. Prompt meint man, es mit einem auf hohem Bergplateau angesiedelten Städtchen zu tun zu haben.
So stark ist alles, was je motivischer Anstoß war, abstrahiert. Die regelmäßig wiederkehrende Ambivalenz zwischen Stillleben und Architektur wird genährt zudem von Kürschners Pinselarbeit. Während die Hintergründe, gehalten vorzugsweise in leuchtendem Blau, Lachsrot, Phosphor- und Senfgelb, einigermaßen ruhige große Flächen bieten, ist der Bildgegenstand wie zermahlen in kleine Flecken und Zwickel. Solch mosaikhaftes Gesplitter und Gestöber hat seinen Augenreiz. Aber es geht von ihm, in Kombination mit hier kantigen, dort spitzen Formen, auch Verstörendes aus.
Kollidiertes ist verkeilt, Aufgetürmtes kippt, was bestätigt wird von der Titelgebung: „Baustelle“, „Halde“, „Kartenhaus“, „Absturz“, gar „Menetekel“. Und wenn mit „Voodoo“ mal eine kastenartige Menschenfigur eingeführt wird, dann wächst die dem Betrachter umso bedrängender entgegen, als die blaue Hälfte des Hochformats die untere ist, die schwarze die obere.
Aus Lust und Wucht entsteht Kunst
Verbreiten die Bilder also Depression? Eben nicht – weil man spürt, dass da einer mit ebensoviel Lust wie Wucht am Malen ist.
Es macht die Doppelschau stimmig, dass vieles von dem Gesagten übertragbar ist auf den Beitrag von Rolf Szymanski. Vor einigen Jahren waren dessen monumentale „Dresdner Frauen“, eine Mahnung an die Zerstörung der Elbestadt im Weltkrieg, in der Stadtkirche Darmstadt zu sehen. Die Galerie ergänzt das jetzt mit rund dreißig Kleinplastiken des 2013 verstorbenen Bildhauers, in Bronze- und Eisenguss. Unverändert bleibt das Ausgehen von der weiblichen Menschenfigur – so radikal immer diese verstümmelt und über Amputationen, Auswüchse, Tentakeln oder Fremdkörper-Einpflanzungen in einen Organismus unbekannter Art verwandelt sein mag, der schon nahe an die monströse Mensch-Maschine heranreicht. Nicht selten sind mehrere Stücke, untereinander höchst divers, zusammengeführt auf einer Bodenplatte. Klarer aber sprechen die Individualisten.
Verletzungen werden zum Teil der Werke
Die „Kleine Figur Nr. 14“ trägt etwas Amorphes vor sich her, das ihr eigener Kopf sein könnte. „Schatten als Brücke“ heißt eine andere Frauengestalt, physisch intakt und rückseitig gestützt vom stehengelassenen Guss-Gestänge. Doch auf Kniehöhe eingeschoben ist eine Horizontalplatte wie eine Wasserfläche, darin sind die Füße mit den Pumps eingetaucht.
Die „Kleine Kauernde auf hohem Sockel“ erinnert an ein wohl beschädigtes, doch nie gestürztes Idol. Wer will, kann darin die Essenz der Szymanskischen Botschaft ablesen: Noch in der äußersten Mutation, im rabiatesten Fragment flackert die Flamme des Vitalen trotzig weiter.