Wer höher baut, verpasst das Weiche: Andrea Rademachers Stuhl-Installation im Kunstforum der TU mit Kuratorin Julia Reichelt. Foto: André Hirtz
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DARMSTADT - Es scheint der Widerspruch in sich. Kunstwerke halten Augenblicke fest. Trotzdem ist die zweite gemeinsame Ausstellung des Kunstforums der Technischen Universität Darmstadt und des Darmstädter Atelierhauses dem "Flüchtigen, Ephemeren" gewidmet. Kein Wunder, wenn die Schau "Lost in Transition" (Im Übergang verloren) heißt?
Nein, im Titel klingt nur an, was schon Goethe seinen Faust erleben ließ. Ein Traum wäre es, den idealen Moment bannen zu können. Doch Natur wie Gesellschaft setzen Realitäten dagegen, und auch die Kunst macht sich eben nur vorgeblich frei vom Sein. Das kann erleben, wer bei der Vernissage im Kunstforum sehen wird, was erscheint, wenn Paula Doepfners großer Eisblock geschmolzen ist. Denn sie hat Einiges darin versteckt.
Trotzdem gelingt derlei Schein-Befreiung in Bildern, Installationen und Videos immer wieder; sie kann überraschen und erschrecken, sogar in ihrem Schildern menschlichen Scheiterns bezirzen. Die Kuratorinnen Julia Reichelt und Michaela Schrabeck haben 50 Werke von 24 Künstlern ausgesucht, die den Schwebezustand scheinbarer Zeitlosigkeit thematisieren: kurz andauernde Prozesse, flüchtige Augenblicke und Empfindungen ebenso wie Erinnern und Vergessen. Dabei liegt der Schwerpunkt in der TU auf eher poetischen Arbeiten, eher politische und gedankliche Auseinandersetzungen mit der Welt hier, den Möglichkeiten der Kunst da finden sich im Atelierhaus.
DOPPEL-ERÖFFNUNG UND PROGRAMM
Die Ausstellung wird am Samstag, 23. September, um 18 Uhr im Kunstforum der TU Darmstadt, Hochschulstraße 1, eröffnet. Um 19.30 Uhr beginnt im Atelierhaus, Riedeselstraße 15, der Fest-Teil der Vernissage. Shuttle-Busse verbinden beide Orte.
Danach ist die Schau im Kunstforum bis 10. Dezember dienstags bis sonntags von 13 bis 18 Uhr, im Atelierhaus bis 5. November donnerstags bis sonntags von 15 bis 19 Uhr zu sehen.
Öffentliche Führungen mit den Kuratorinnen der Ausstellung (Julia Reichelt, Kunstforum, Michaela Schrabeck, Atelierhaus): 5. Oktober 17 Uhr, beginnend im Kunstforum, anschließend Atelierhaus, 22. Oktober, 11 Uhr, beginnend im Kunstforum, anschließend Atelierhaus, 5. November, 17 Uhr, im Atelierhaus (Finissage), 26. November, 11 Uhr, im Kunstforum.
Vorträge: 4. November, 19 Uhr im Atelierhaus: "Parfums - olfaktorische Kunst in flüchtigen Zeiten". 10. Dezember, 17 Uhr im Kunstforum (Finissage): "Bejahtes Entweichen" mit der Philosophin Petra Gehring.
Der studentische Filmkreis zeigt am 23. November zur Ausstellung Andy Goldsworthys "Rivers and Tides" (2001), Treffpunkt 19.30 Uhr im Karo 5. (job)
Drei ästhetisch reizvolle Situationen des Versagens im Kampf mit dem Flüchtigen schildern Andrea Rademacher, Álvaro Martinez Alonso und Thomas Sterner. Rademachers Stuhl mit seinen vielen bunten Kissen türmt sich im Zentrum des TU-Saals gleich mehrere Meter hoch: Wer sich die Hürden zum Innehalten immer höher baut, verpasst manche Chance, auch Zartes und Weiches zu erleben. Er ist "Sans Repos", so der Werktitel: ohne Ruhe.
Solch Rastlosem kann es mental passieren, dass er mit dem Job den Boden unter den Füßen verliert und im alten Arbeitsraum durch die Luft taumelt, wie Alonso es auf Fotomontagen schildert. Thomas Sterner hat dagegen eine Sieben-Stunden-Performance zum Film gemacht. Als Rückenfigur steht er auf einem Steg, während Meereswellen, Himmel und auch andere Menschen diesem Helden der Reglosigkeit allein mit ihrer Bewegung den Rang des Lebens ablaufen.
Die Natur ist überhaupt eines der großen Themen des Ephemeren. Der Mensch muss nichts tun, er darf erleben. Der Maler Young-Bae Kim zum Beispiel lässt neoimpressionistischen Farbzauber über zart bewegtem Wasser aufstrahlen, während Vera Fles-Schönegge auf ihren Fotos Hell und Dunkel geradezu auf Wasser platschen lässt.
Für derlei Natur-Zufälle hat William Lanson in seinem Video "In the roaring Garden" eine ganze Versuchsanordnung auf einen Teich gebracht. Er setzt eine Blockhütte dort dem Wetter aus und verbindet Innen und Außen nur mit einem Guckloch. Das wird dadurch zur Lochbildkamera, und der Betrachter erlebt gleitende Lichtwirkungen, aber auch die Zerstörung des Mobiliars im dunklen Inneren.
Das Flüchtige hinterlässt vor allem Fragen und Gefühl. Der "Spaziergangswissenschaftler" Gerhard Lang nähert sich dem, was sich fassen nicht lässt, mit seiner "Nubeologie", der quasi-wissenschaftlichen Erkundung von Wolken und Winden, die er auf Fotos und Textilbilder sogenannter "Cloud Walks" bannt oder in Gläser einsperrt. Nazli Moripek dagegen lässt in einer Wandinstallation auf Bilderrahmen, die mit dunkler Erde gefüllt sind, geheimnisvolle Familienfotos erscheinen. Transzendenz als eine Kraft der Kunst betonen dagegen die Malerinnen Nicole Ahland und Paola Neumann in ihren delikaten Abstraktionen, die Ort und Zeit verschwimmen lassen, um "unterwegs" zu sein.
Wer letztlich doch wieder auf den Erdboden kommen möchte, kann dies beim Verlassen des Atelierhauses beim Blick auf ein Großformat von Johannes Kreischer. Die "mangelnde Empathie", die seinem Bild den Namen gegeben hat, ist der Mangel an Mitgefühl für die Menschenmenge in einem LKW, auf die man wie mit Röntgenaugen blickt. Dahinter steckt die grausig-reale Geschichte eines Flüchtlings-Transporters, in dem Menschen eingesperrt sterben mussten.