HAP Grieshabers Kunst des Sterbens

Leihgeberin Heidi Kriegbaum in der Grieshaber-Ausstellung in der Darmstädter Ziegelhütte. Zu sehen sind Einzelblätter sowie eine Gesamtausgabe des „Basler Totentanzes“, einem der wichtigsten Werke des bedeutenden Nachkriegs-Holzschneiders. Foto: Karl-Heinz Bärtl

Im Darmstädter Künstlerhaus Ziegelhütte sind noch bis zum 3. November Arbeiten aus der Holzschnitt-Mappe „Totentanz von Basel“ zu sehen.

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DARMSTADT. „Es wird immer schwerer, jede Woche einen Tod zu überwinden“, ließ HAP Grieshaber (1909–1981) im Frühjahr 1966 einen Briefpartner wissen. Dabei bezog der melodramatische Satz sich nicht auf seine Gesundheit, sondern auf seine künstlerische Arbeit. Grieshaber hatte sich zum Ziel gesetzt, noch vor Ablauf des Jahres abzuschließen, was das größte künstlerische Projekt seines Lebens werden sollte: eine Folge von 40 Farbholzschnitten, die, angeregt von einem spätmittelalterlichen Basler Wandgemälde, das Totentanz-Motiv zum Thema hatten.

Widerstände in den Weg legte Grieshaber die eigene Entschlossenheit, das großformatige Opus quasi als deutsch-deutsches Joint Venture zu realisieren, mithilfe eines Dresdener Verlags und der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Denn etliche DDR-Behörden misstrauten dem BRD-Künstler. Der fertige Foliant freilich, produziert in einer Riesenauflage von 3333 Exemplaren, erntete bei seiner Präsentation auf beiden deutschen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt viel Lob.

Zusätzlich zur Buchausgabe gibt es die Farbholzschnitte als Einzelblätter. 19 davon – wobei es sich bei wiederum sechs nur um formatgleiche Nachdrucke handelt – sind derzeit als Leihgaben von Privat im Darmstädter Künstlerhaus Ziegelhütte zu sehen. Beim Blick darauf ist Grieshabers Anliegen unübersehbar. Er will das historisch Inspirierte in die Gegenwart führen.

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Zum einen stilistisch: Expressionistisches Erbe lebt nach sowohl im zuweilen barschen Zurechthacken menschlicher Anatomie als auch in der Reduktion auf wenige anti-naturalistisch gesteigerte Farben mit reichlich verbliebenem Papierweiß. Zum anderen folgt der Künstler zwar der alten Vorlage und führt den Tod als knochenklapperndes Gerippe ein, das Vertreter sämtlicher traditioneller Stände und Berufe von Papst und Kaiser bis zum Bauern und Bettler zum makabren letzten Tanz auffordert. Doch er verleiht den unfreiwilligen Tanzpartnern auch moderne Noten. So erscheint der Kaufmann mit Hornbrille, Schlips und Aktentasche.

Die Totentänze von einst waren Teil der „Ars moriendi“, der „Kunst des Sterbens“, die auf den „guten“ Tod eines Christenmenschen vorbereiten sollte. Rechtzeitig sollte er bedacht sein auf sein Seelenheil, denn nichts war gefürchteter als ein plötzlicher, den Sünder unvorbereitet treffender Tod. Doch wer kümmert sich heute, wo zunehmend in Altenheimen und Kliniken gestorben wird, um eine zeitgemäße Ars moriendi?

Es sind Institutionen wie der Evangelische Hospiz- und Palliativ-Verein Darmstadt, der nun im Rahmen einer dreiwöchigen Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben und Abschied unterm Dach des Künstlerhauses Grieshabers „Totentanz“ präsentiert. Von Vereinsmitglied Heidi Kriegbaum stammt auch die prächtigste Leihgabe: ein Original des Buchs. Aufgeschlagen ist es auf der Doppelseite, auf der der Tod den Maler von der Arbeit abruft. Dort hat HAP Grieshaber, der Mitglied der Darmstädter Sezession war und 1961 mit dem Kunstpreis der Stadt Darmstadt geehrt wurde, ein groteskes Selbstporträt geschaffen.