Die Ausstellung setzt sich mit der Farbe als kulturellem Phänomen auseinander, sie will unser Farbempfinden reflektieren und hinterfragen.
FRANKFURT. Schriftsteller haben es gut, sie können mit der Sprache nach Belieben spielen. Dennoch lamentieren sie gern: „Ach, diese ewig grünen Bäume, warum können sie nicht einmal blau sein“, so Gotthold Ephraim Lessing vor 150 Jahren. Damals reiste man noch nicht viel, sonst hätte Lessing gewusst, dass Farben in fernen Ländern ganz andere Bedeutungen haben.
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In der japanischen Sprache etwa gab es lange keine eindeutige Unterscheidung zwischen Grün und Blau, weshalb ein Dichter um 1150 den „grünen Himmel“ entdeckte und sogar noch der 2019 zurückgetretene Kaiser Akihito das „blaue Gras“ in einem Gedicht pries. Das Midori-Grün und das Ao-Blau wurden erst im 20. Jahrhundert unter westlichem Einfluss klar getrennt.
200 Werke zum Teil aus dem späten 19. Jahrhundert
„Grüner Himmel, blaues Gras“ – dieser Farbentausch stellt die Welt auf den Kopf. Doch Matthias Claudius Hofmann hat diesen Titel bewusst für die große Ausstellung im Frankfurter Weltkulturenmuseum gewählt und programmatisch mit dem Untertitel „Farben ordnen Welten“ ergänzt. Hofmann und vier Co-Kuratoren stellen 200 Objekte aus Neuguinea, Polynesien, dem Amazonas-Gebiet, Ostafrika, Tibet und Java vor, teils aus dem späten 19. Jahrhundert stammend, teils just neu gemalt.
Die Schau setzt sich mit der Farbe als kulturellem Phänomen auseinander, sie will unser Farbempfinden reflektieren und hinterfragen. Denn Farben sind in anderen Gesellschaften noch in ein komplexes kosmologisches Weltbild eingebunden. „Alle Menschen sehen zwar physiologisch auf dieselbe Art, aber die Farben werden nicht überall gleich wahrgenommen“, erläutert Hofmann und zeigt eingangs an physikalischen Experimenten, wie Farbe entsteht und wirkt.
Im folgenden Raum prallen zwei Welten auseinander. Denn Sprach- und Sozialwissenschaftler erfragten in vielen Nationen mit Farbkarten die jeweiligen Bezeichnungen. Aber am Ende standen nur abstrakte Begriffe, denn etliche indigene Völker haben noch zahlreiche Farbwörter, die Phänomene in der Natur beschreiben, in Samoa etwa das blaue Blatt des Rauschpfeffers Kawa oder der zum Verzehr geeignete, grüne Papageienfisch. Das Blau des Meeres hat aber wieder eine andere Bezeichnung – eine faszinierend neue Farbenwelt tut sich vor uns auf, deren Feinheiten wir kaum alle empfinden können.
Glücklicherweise konzentriert sich die Schau alsbald auf die Beziehung zwischen Farbe und Material oder zwischen Farbe und Weltbild; abschließend beleuchtet sie auch den Wandel durch Einflüsse. Wie wichtig das Material für die Wirkung von Farben ist, erweist sich an einer Irismuschel; deren viele dünne und transparente Schichten rufen den typischen Perlmutt-Effekt zwischen Goldgelb, Grün, Silber und Violett hervor.
Dagegen sind 60 000 zinnoberrote Federn des Nektarvogels für das „Federgeld“ nötig, das auf den melanesischen Santa-Cruz-Inseln bis heute als Tauschobjekt üblich ist. Wenn das zu einem Schlauch gerollte „Federgeld“ neu ist und in frischen Rot erstrahlt, kann man dafür ein großes Boot eintauschen. Doch mit dem Verblassen der Farbe geht auch der Wert zurück – eine langfristige Geldanlage ist das „Federgeld“ also nicht.
Aber Farben verraten auch viel vom Denken einer Nation. Bei den Kayapo im Amazonas-Gebiet ist der Kopfschmuck aus farbigen Federn ein kleines Abbild ihrer Welt. Die roten Federn stehen für das Männerhaus im Dorfkern, die blauen Federn für die weibliche Welt der Wohnhäuser, die weißen Federn für die wilde Welt der Geister. Dieser prachtvolle Schmuck wird von Männern und Frauen getragen, aber zu verschiedenen Festen. In Neuguinea indes stellen Farben einen Kontakt zur Welt der Geister her, diese erwachen erst durch das Malen zum Leben.
Sogar eine Auswahl an heutigen Mund-Nasen-Masken ist zu sehen. Auf einer indonesischen Maske sind drei Männer hinter einem roten Corona-Virus her, einer mit Spritze bewaffnet, der nächste mit Reagenzglas und der letzte mit Riesenpille. Rot kommt also überall vor, es ist die wohl wichtigste Farbe der Welt und steht für die Schöpfung, für Blut, Kraft und Wut.