Proletarierin bei der Lektüre: Für dieses Foto aus dem Jahr 1928 ließ Hans Breseler seine Schwägerin posieren. Die Aufnahme entstammt dem hier vorgestellten Band „Fotografie in der Weimarer Republik“ aus dem Hirmer-Verlag.
(Foto: Deutsche Fotothek/Hans Bresler)
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Kriegsversehrte beim Abendessen oder Arbeiterinnen am Fließband: Einen faszinierenden Blick auf den Alltag zwischen Weltkriegsende und nationalsozialistischer Machtergreifung bietet der Band „Fotografie in der Weimarer Republik“ mit 250 teils unveröffentlichten Aufnahmen. Revolutionen und Innovationen kennzeichneten die wechselvollen Jahre der ersten deutschen Republik. Erstmals begleitete die Fotografie eine Epoche in all ihren Wandlungen und Entwicklungen.
Das war möglich geworden, weil die Fotografie eine nie dagewesene Qualität und Verbreitung erlangte. Pressefotografen wie Erich Salomon oder Friedrich Seidenstücker wurden zu Stars. Die Einführung der handlichen Kleinbildkamera ermöglichte – vom Fotografierten unbemerkt – „Augenblicksbilder“. Man suchte den Moment, der es wert war, festgehalten zu werden. Wachsender Beliebtheit erfreuten sich Fotoautomaten, die Ende der 1920er Jahre in den Städten aufgestellt wurden. Jetzt konnte sich jeder fotografieren lassen. Und jeder konnte dank der erschwinglich gewordenen Kameratechnik nun selbst fotografieren. Das Medium wurde vielschichtig, von der Alltagsfotografie über die dokumentarische bis zur künstlerischen Fotografie.
Der Katalog entfaltet anhand von 14 Begriffen aus den Bereichen Politik, Gesellschaft, Kunst und Kultur ein Panorama der Zeit: Revolution und Republik, Tanz und Mode, Neues Sehen und Dada, Arbeiterfotografie, Architektur, Technik und Sport gehören zu den Themen.
DAS BUCH
LVR Landesmuseum Bonn
Fotografie in der Weimarer Republik
Hirmer-Verlag, 264 Seiten mit 268 Abbildungen, 39,90 Euro.
Illustrierte und Zeitungen brachten Fotos millionenfach unter die Leute, sowohl in berichtender als meinungsbildender Absicht. Dass die Wirkmacht der Fotografie zur gefährlichen Waffe werden konnte, musste der designierte Reichspräsident Friedrich Ebert im Sommer 1919 schmerzhaft erfahren. Ein unvorteilhaftes Strandfoto, das verschiedene Tageszeitungen unberechtigterweise publizierten, markierte den Beginn einer jahrelangen Verleumdungskampagne gegen ihn und damit gegen die Republik.
Die eindrucksvollen, fesselnd kommentierten Bildzeugnisse gewähren einen einzigartigen Blick auf die damaligen Ereignisse wie die Ausrufung der neuen Regierung, die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs oder die Einführung des Frauenwahlrechts.
Der Aufbruch vom ehemaligen Kaiserreich in die Republik öffnete zugleich den Weg in die Moderne. Die Fotos zeigen sowohl die soziale Ungleichheit und die Phasen wirtschaftlicher Not als auch den Abschied von den wilhelminischen Moralvorstellungen. Der neu eingeführte Achtstundentag und gesetzliche Urlaubsregelungen schufen bisher unbekannte Freiräume. Für die moderne Frau traten „Kino, Kultur und Konsum“ an die Stelle von „Kinder, Küche und Kirche“. Bereits 1925 gab es in Deutschland 11,5 Millionen berufstätige Frauen. „Metzgerin mit Vieh“ heißt ein Foto von 1925, das die erste Frau zeigt, die in Berlin ihre Gesellenprüfung als Metzgerin bestand. Taxifahrerinnen waren keine Seltenheit mehr.
Die Textbeiträge sind kenntnisreich verfasst. Einziges Manko: Es ist nicht ersichtlich, von welchem Autor welcher Beitrag stammt. Im Impressum werden zwar acht Namen genannt, doch diese sind den Texten nicht zugeordnet.