Saftiges Material
DARMSTADT - Es ist eine gute Tradition der Galerie Netuschil, Werke jeweils eines Malers und eines Bildhauers zu kombinieren: Unterschiedliche Sinne werden angesprochen. Es sind, wie bei Christmann und Bach, nicht immer alternativlose Paarungen.
Mit Oliver Christmann und seiner Malerei verhält es sich ein bisschen wie mit der Hausfrau und ihrem Kuchen: Das Rezept für den Teig bleibt gleich; was sich ändert, sind die Zutaten, mal Orangeat, mal kandierte Kirschen. Was am Ende aus dem Ofen kommt, schmeckt immer. Jede der Christmannschen Leinwände ist geteilt, was so gut wie nie exakt halbiert heißt. Das würde die Spannung gefährden. Die freilich baut sich auf aus der gänzlich konträren Ausstrahlung der Bildhälften. Die eine ist polychrom, mit einer Vorliebe für ungebrochene, leuchtende Farben, die sich ausbreiten als Muster fließender, tanzender, schwebender Formen. Die andere Hälfte scheint monochrom. Bei näherer Betrachtung jedoch erweist sich diese Fläche nur als eine Schicht, hier und da durchschimmernd, anderswo aufgerissen, so dass der Betrachter erkennt: Darunter setzt sich das polychrome Geschehen fort; was zunächst monochrom schien, ist nur wie ein dünner Vorhang.
Höchst lebendig wirkt, wie der Künstler seine Acrylfarben als traktierbare Masse auffasst, die er mit dem Spachtel glatt-, tendenziell auch ineinanderzieht, was den Eindruck von Bewegung fördert. Er selbst spricht von der „saftigen Materialität der Malfarbe“. Wer unbedingt auf Gegenstandassoziationen aus ist, mag darin Blumenspaliere, Blumenbeete, ganze Blumenfelder sehen. Aber man wird dieser Malerei gerechter, wenn man versucht, sich solchen Brückenschlag hinüber in die Realwelt zu verkneifen und zu sehen, wie die heitere Vitalität des ausgebreiteten Farb- und Formangebots eine Energie besitzt, die Wohlbefinden auslöst.
Auf florale Wege wird man von Jörg Bachs Corten-Skulpturen nicht gelockt. Trotzdem bleibt das Industriell-Rationale an ihnen beschränkt auf den Werkstoff, wohl auch aufs Schweißgerät und die anderen Werkzeuge. Denn die zum Volumen aufgefüllten Ring- und Winkelelemente, die sich da in teils komplexer Verbindung, Verschränkung, Durchdringung üben, gehorchen der Geometrie nur auf den oberflächlichen Blick. In Wahrheit sind sie nirgendwo gleichförmig. Allenthalben An- und Abschwellen der Konturen, Konkav- und Konvexwölbung der Flächen, schließlich ein fast muskulös zu nennendes Gezogen- und Gestauchtwerden der Körper. „Entwicklung“ heißt ein Gebilde aus zwei ineinander verschlungenen Kurven, zusammen ein diagonales Aufbäumen. „Zankapfel“ dagegen lässt an einen stämmig komprimierten Buchstaben aus dem hebräischen Alphabet denken. Während das erste Stück, rostüberzogen, offen zum profanen Ausgangsmaterial steht, verbirgt das zweite es unter rotbraunem Lackanstrich. Der ist bei anderen Beispielen graublau oder cremig-weiß, was dem Ganzen eine Anmutung von glasierter Keramik gibt. Dies scheint Bachs Denk-Anstoß für uns: Ob das Eigenleben des Materials, einmal erwacht, noch zu bremsen ist?
Wann und wo Bis 3.Oktober in der Galerie Netuschil in Darmstadt, Schleiermacherstraße 8, Dienstag bis Freitag 14.30 bis 19 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr. Mehrere Kataloge.