Erst Lehrer und Schüler, dann Freund und Helfer
DARMSTADT - In den Sechzigern lag die Phase der hyper-expressiven Ekstasen und Apokalypsen für den Maler Ludwig Meidner lange zurück. Anfang der Fünfziger hatte es ihn aus dem Londoner Exil ins Taunusdörfchen Marxheim verschlagen. Nicht mehr Großstadtbilder, sondern Landschaften und vor allem Bildnisse beschäftigten den zum selbstbewussten Traditionalisten gewandelten Künstler.
Weit mehr als nur ein Lehrer-Schüler-Verhältnis
Seine Schaffenseinsamkeit wurde eines schönen Tages gestört. Aus München angereist kam 1958 ein knapp achtzehnjähriger Bursche, der erklärte, bei ihm die Lehre gehen zu wollen. Als Meidner einwilligte, ahnte er nicht, dass daraus weit mehr werden sollte als ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Jörg von Kitta-Kittel wurde dem Älteren Untermieter, Helfer, Gesprächspartner und Freund – bis zu Ludwig Meidners Tod 1966 in einem Darmstädter Altersheim.
Der „symbiotisch“ gemeinsame Weg der beiden Künstler steht im Mittelpunkt der Ausstellung in der Galerie Netuschil, die, was Meidners Beitrag betrifft, größtenteils auf galerieeigenen Beständen ruht. Chronologisch reichen sie zurück bis 1907: das Jahr, das Meidner in Paris verbrachte, an der Quelle der modernen Kunst-Revolutionen.
Daran, wie der Lehrer ihm auch in dieser Hinsicht zum Mentor wurde, erinnert sich Kitta-Kittel, nun selbst auf die Achtzig zugehend, lebhaft. Aus seinem Atelier in der Frankfurter Weststadt stammen zwei Kernwerke der Ausstellung: die Porträts, die Meidner und er einander gewidmet haben. Der Ältere erfasst am Jüngeren, ihm Zugewandten in einer zugleich lockeren und bestimmten Handschrift genau die physiognomischen Züge, die diesem bis heute eignen: die knochige Stirn, die tief sitzenden Augen, das dreieckig-spitze Kinn.
Kitta-Kittel dagegen beobachtet den Lehrer im Profil distanzierter, im Gebet, mit jüdischem Gebetsmantel zusätzlich zur Kippa und einem Buch in Händen.
Bis zum Rand der Auflösung
Unter den Ausstellungen, die der Kulturfonds Rhein-Main hier als Kooperationspartner aus Anlass von Ludwig Meidners 50. Todestag zusammenfasst, dürfte die bei Netuschil diejenige sein, die zeitlich die größte Spanne ausmisst. Denn bis ins laufende Jahr reichen die Entstehungsdaten der Gemälde Jörg von Kitta-Kittels. Dessen Entwicklung allerdings hat einen zur Meidnerschen konträren Verlauf genommen. Den expressionistischen Impuls aufgreifend, treibt er die Umsetzung von visueller Wirklichkeit bis an den Rand deren Auflösung.