41 Jahre nach "Jaws" spielt Blake Lively in "The Shallows" (Die Untiefen) die texanische Surf-Amazone Nancy, die beim Wellenreiten an einem einsamen mexikanischen Traumstrand von einem Weißen Hai gerammt wird. Kleine Fluchten treffen auf großen Hunger.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Auf eine schaukelnde Boje rettet sich Nancy (Blake Lively) vor einem Weißen Hai, der langsam ungehalten wird, weil er bei seinen Fress-attacken nun auf rostiges Eisen beißt. Foto: Sony Pictures
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Vorbei die Zeiten, als der junge Steven Spielberg mörderischen Fressmaschinen hysterische Blondinen als kreischende Köder vorwerfen konnte: 41 Jahre nach "Jaws" spielt Blake Lively in "The Shallows" (Die Untiefen) die texanische Surf-Amazone Nancy, die beim Wellenreiten an einem einsamen mexikanischen Traumstrand von einem Weißen Hai gerammt wird. Kleine Fluchten treffen auf großen Hunger.
Zunächst rettet sich Nancy auf einen angenagten Walkadaver und spielt kurz "Die junge Frau und das Meer" auf der Seebühne. Dann krault sie zu einem Felsen, den die Ebbe freilegt, und kauert dort wie die kleine Meerjungfrau im Hafen von Kopenhagen. Der Spanier Jaume Collet-Serra ("Unknow Identity") kostet die Schauwerte und Schockmomente des minimalistischen Szenarios nach allen Regeln des Exploitation-Films spannend und unterhaltsam aus.
Nach dem Krebstod ihrer Mutter hat Nancy das Medizinstudium geschmissen, um in der einsamen Lieblingsbucht ihrer lebenslustigen Mom in Erinnerungen hinterherzusurfen. Schließlich trug die Mama ihre Tochter unterm Herzen, als sie dort einst über die Wellen jagte. Die vorgelagerte Insel erinnert die Tochter denn auch prompt an eine liegende Schwangere, und der Zuschauer ahnt, dass dies der Strand der starken Frauen sein muss. Männer hingegen, die nur Suff und Spaß im Sinn haben, taugen hier nur als Fischfutter.
SHARK-SCHOCKER
Der Weiße Hai wird im Schnitt vier, höchstens sieben Meter lang und bis zu dreieinhalb Tonnen schwer. Weibchen werden größer als Männchen. Die Raubfische halten sich häufig in Küstennähe auf und dringen auch in flaches Wasser vor. Die Art hat keine natürlichen Feinde, gilt aber durch Beifang und Trophäenjagd als gefährdet.
Jaume Collet-Serra (42) bebildert das Grauen aus der Tiefe mit stylishem Sinn für die Schattierungen des Schreckens. Man sieht einen Surfer, dann kommt eine Welle, dann ist er fort. Mal fliegt danach das Surfbrett in Trümmern in die Luft, mal schleppt sich ein halber Mann an den Strand.
Und jedesmal, wenn Nancy ins Wasser geht, zieht sie eine Blutspur hinter sich her und kommt mit neuen Blessuren heraus. Bald ist ihr Bein mit der tiefen Bisswunde blau angeschwollen, und Striemen von Quallen bedecken ihren Körper.
Blake Lively (29), die anfangs sexy ins Wasser steigt, als wolle sie Werbung für Duschgel machen, legt schon bald paramilitärische Fähigkeiten an den Tag, operiert sich selbst mit Modeschmuck, feuert mit Leuchtpistole und kuriert nebenbei noch eine lädierte Möwe. Was Sigourney Weaver im All mit dem Alien war, ist sie im Wasser mit dem Beißer.
Die Frau von Ryan Reynolds habe sich, liest man, von dessen Rolle im Gruftschocker "Buried" antreiben lassen, der das Martyrium eines entführten Mannes in einem Sarg zeigt. Das Szenario von "The Shallows" ist natürlich nicht ganz so hermetisch und bietet in spektakulären Luftaufnahmen auch die deutlich erfreulichere Aussicht, doch auf dem kleinen Spielfeld zwischen Strand, Kadaver, Felsen und einer Boje verdichtet Jaume Collet-Serra den Schrecken allemal effektvoll.
Wenn der große Weiße und die kühle Blonde aufeinanderprallen, dann treffen sich halbnackter Überlebenswille und schiere Fresswut. Der Hai benimmt sich, als habe er gerade ein Boot voller Drogenkuriere mit Crystal Meth in den Bäuchen verspeist. Wie er im Sprung zubeißt und rostiges Eisen zermalmt, ist nichts, was Tierschützer erfreuen wird. Aber dieser Hai ist auch gar kein Tier, sondern eine Herausforderung mit Zähnen für das Initiationsritual einer modernen Kriegerin.
Was Frauen Mut machen kann, mag Männern zusetzen. "The Shallows" ist so ein Film, nach dem man wasserscheu aus dem Kino kommt. Danach bucht man seinen Sommerurlaub vom Strand in die Berge um, geht nur noch mit Har-
pune ins Freibad - und nie ohne seine große Schwester, die einen im Notfall wieder rausholt.