Dass Schwimmer, Ruderer, Golfer, Turner, Radsportler und Triathleten ihre Europameister zeitgleich in Glasgow küren, ist ungewöhnlich. Die Sportarten hoffen auf TV-Zeit, die...
FRANKFURT. Glasgow ist die Hauptstadt Europas. Rein sportlich gesehen, und auch nur für rund zehn Tage. Aber die größte Stadt Schottlands hat ein weiteres Prädikat sicher: Gastgeber der ersten „European Championships“ (EC). Es wird zusammengeführt, was auf den ersten Blick nicht zwangsweise zusammengehört: Golf, Radsport, Rudern, Schwimmen, Triathlon und Turnen. Die Leichtathletik gehört auch zur Premiere, hatte sich aber schon lange vor dem EC-Beschluss für Berlin als Schauplatz entschieden.
So verschieden die Sportarten sind, so einig sind sich deren Vertreter in der großen Hoffnung: mehr mediale Aufmerksamkeit, sprich vor allem mehr Fernsehzeit. Ziel erreicht, ließe sich schon jetzt festhalten, denn die öffentlich-rechtliche Programmübersicht wirkt wie zu olympischen Zeiten. „Die European Championships mit Olympia zu vergleichen, verbietet sich“, lautet da der harsche Konter von Thomas Fuhrmann zum Titel Klein-Olympia, der der kontinentalen Großmeisterschaft schnell verliehen wurde. Der Leiter der ZDF-Hauptredaktion Sport zieht einen anderen Vergleich: „Nach dem Vorbild des Wintersports sollen verschiedene Sportarten konzentriert und somit ein Event geschaffen werden. Im Winter profitieren die einzelnen Sportarten voneinander.“
Leichtathletik sieht sich als „Zugpferd und Filetstück“
Aber wer profitiert von wem? In der Hierarchie scheint die Leichtathletik ganz oben zu stehen. Zumindest nach dem Selbstverständnis, wie es Frank Kowalski formuliert: „70 Prozent der medialen Aufmerksamkeit wird von der Leichtathletik ausgehen. Selbstverständlich sehen wir die Leichtathletik als Zugpferd, als Filetstück quasi“, erklärt der Geschäftsführer der Organisations-GmbH „Berlin 2018“. Jeden Abend Prime Time von 18.30 bis 22 Uhr, sogar der Tatort wurde verdrängt. Das ist selbst für die olympische Kernsportart ein Novum. Die Bedingung der Leichtathletik lautete: keine Einschränkungen. „Wir wollten beispielsweise nicht in der ersten Woche mit dabei sein, sondern erst in der zweiten“, sagt Kowalski.
Andere Sportarten sehen sich nicht in der Position, mit Bedingungen in die Premiere zu gehen. Vielmehr freuen sie sich, Teil einer Multimeisterschaft zu sein mit Wettkämpfen, die bislang im medialen Schatten abliefen. „Wir erhoffen uns, dank der guten TV-Übertragung einen guten Schub für den Rudersport in Deutschland und Europa“, erklärt Siegfried Kaidel als Präsident des Deutschen Ruderverbandes und schiebt als Sprecher der Spitzenverbände im DOSB nach: „Wir sehen die Veranstaltung als einen Schritt in die richtige Richtung, dass auch Sommersportverbände terminlich kooperieren können. Klar ist, dass jeder einen Kompromiss eingehen muss. Doch nur so können wir uns medial besser in einem zunehmend engen Fernsehmarkt etablieren.“
In einem Fernsehmarkt, der zwischen den Fußballspielen immer weniger Luft und Geld für andere Sportarten übrig lässt. Der Radsport kommt dabei noch vergleichsweise gut weg – dank Eurosport, dank der großen Rundfahrten wie Tour de France, also dank des Profiradsports auf der Straße. „Durch die gemeinsame Europameisterschaft rücken auch Disziplinen in den medialen Fokus, die sonst nicht diese Aufmerksamkeit haben“, sagt Martin Wolf. Der im südhessischen Griesheim lebende Geschäftsführer des Bundes Deutscher Radfahrer meint BMX, Mountainbiken und Bahnradsport. Auch in diesen Disziplinen wird in Glasgow um EM-Titel gefahren. Für den Radsport eine Premiere innerhalb der Premiere. Bislang waren diese Meisterschaften über das Jahr und den Kontinent verteilt. „Was wiederum für viele Sportler eine gravierende Änderung im Saisonaufbau zur Folge hat“, sagt Wolf, der als BDR-Delegierter in der Europäischen Radsport Union die 2014 geborene Idee von Beginn an begleitet hat. Die scheinbare Zufälligkeit des Siebener-Reigens sieht er auch in der „Attraktivität der jeweiligen Sportart in Großbritannien“ begründet. Dort wird auch der Bahnradsport zur Prime Time übertragen – aus dem nach dem britischen Sprint-Heroen benannten „Sir Chris Hoy Velodrome“.
In der Ähnlichkeit der Zielgruppen sieht Matthias Zöll die Auswahl der Sportarten, denn schließlich kommen auch „European Championships“ nicht ohne den Faktor Geld aus. „Da hinter den EC eine Agentur steht, die im Sinne potenzieller Werbepartner auch sponsoringrelevante Aspekte zu berücksichtigen hat, ist davon auszugehen, dass neben der Masse an Anhängern auch bestimmte Zielgruppen ein Kriterium bei der Auswahl waren“, erklärt der Generalsekretär der Deutschen Triathlon Union, der sich ebenfalls mehr Aufmerksamkeit für seine Sportart erhofft und es als „Privileg empfindet, dabei sein zu dürfen“.
Auswirkungen auf Hotelpreise und Trainingspläne
Aufgrund des recht kurzen und teils holprigen Vorlaufs gebe es für zukünftige Auflagen der im Vier-Jahres-Rhythmus geplanten Championships Sachen, die man „sicher eleganter lösen kann“. Beispiel Kosten. „Da ist die Bündelung definitiv kein Vorteil. Denn wo viele Leute sind, herrscht Knappheit, und Knappheit bedeutet höhere Preise“, sagt Zöll mit Blick etwa auf Quartiere, für die es kein eigens gebautes Dorf gibt, sondern eben nur die vorhandenen Hotels.
„Der Zusammenschluss mehrerer attraktiver Sportarten ist ein richtiger und wichtiger strategischer Schritt in die mediale Zukunft“, erklärt Sportdirektor Wolfgang Willam für den Deutschen Turner Bund. Ein Schritt, der aber auch hier einen neuen Trainingsplan erforderte. Die EM wurde bisher immer im Frühjahr ausgetragen, zudem steht im Oktober noch die WM in Doha an. „Wir sind allerdings davon überzeugt, dass uns die Umstellung gelingen wird“, sagt Willam, der in einer gemeinsamen EM weder logistische noch finanzielle Vorteile sieht. Aber auch keinen größeren Aufwand, wie Harald Gehring für den Schwimm-Verband betont. „Es ist vielmehr eine große Chance, uns im TV zu zeigen. Diese Chance nutzen wir und sind mit einem großen Team vor Ort“.
Während in fast allen Sportarten die Startlisten voller Olympiasieger, Weltmeister und sonstiger Branchenführer sind, beklagen die Golfer fehlende Reize für ihre Asse, für die es zum Beispiel keine Weltranglistenpunkte gibt. „Der Stellenwert, den die ausrichtenden europäischen Profigolf-Verbände dem Turnier geben, deckt sich leider nicht mit dem Stellenwert, den der deutsche Verband in der EM sieht“, beklagt Marcus Neumann als Vorstandsmitglied des Deutschen Golf Verbandes. Zumal der Termin sich mit der PGA-Championship in den USA überschneidet. „Diese Umstände finden wir sehr bedauerlich. Denn von der Idee her ist die Golf-EM hervorragend geeignet, um zu zeigen, dass wir ein Teil der großen Sportfamilie sind“, sagt Neumann, der in seiner Bewertung aber letztlich auch zu der Hoffnung kommt: mehr Aufmerksamkeit durch Gemeinsamkeit.