Darmstädter, Marburger und Gießener Wissenschaftler entwickeln für das Loewe-Projekt Natur 4.0 Sensornetzwerke, um mehr über das Leben und die Artenvielfalt von Ökosystemen...
DARMSTADT. Sensoren können vieles messen: Temperatur, Lichtintensität, Geräusche. Wissenschaftler der TU Darmstadt, der Philipps-Universität Marburg und der Justus-Liebig-Universität Gießen entwickeln in den kommenden vier Jahren für das Loewe-Projekt Natur 4.0 Sensornetzwerke, um mehr über das Leben und die Artenvielfalt von Ökosystemen herauszufinden. Testgebiet ist ein vier Quadratkilometer großes Waldstück in der Nähe von Marburg.
Bildergalerie
Wenn Biologen mehr über das Ökosystem und die Biodiversität herausfinden wollen, dann müssen sie durch Feld und Wald streifen, um beispielsweise Vögel zu beobachten oder Insekten zu finden. Eine andere Möglichkeit, mehr über Ökosysteme herauszufinden, sind Satellitenaufnahmen. Vernetzte Sensoren im Wald haben im Vergleich dazu den Vorteil, dass sie sehr nahe am zu beobachtenden Objekt sind, und das rund um die Uhr. „Wir schließen da eine Riesenlücke“, sagt Julian Zobel, Informatiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter des „Multimedia Communications Lab“ an der TU Darmstadt.
Klimaerwärmung und die zunehmende Umweltverschmutzung bedrohen Arten und ganze Ökosysteme. „Die Natur selbst ist ein großes, sehr komplexes Netzwerk: Wenn beispielsweise eine Frucht nicht mehr wächst, hat ein bestimmtes Insekt keine Nahrungsquelle mehr, das wiederum als Futter für einen Vogel dient. Diese vielschichtigen Abhängigkeiten gilt es zu verstehen“, heißt es in der Projektbeschreibung. Die neuen Sensornetzwerke sollen helfen, die Umwelt besser zu verstehen und zu schützen.
Julian Zobel und sein Kollege Patrick Lieser sind in dem Forschungsprojekt für die Sensortechnik zuständig. „Wir wollen die Kommunikation im Wald so autark wie möglich machen“, erklärt Julian Zobel. Dazu wurden in Marburg verschiedene Sensorboxen entwickelt, die „einiges im Kasten haben“: Mit dem Ortungssystem GPS werden die Standorte, etwa von Ringeltauben und Eichelhähern, erfasst. Mit einem Gyrometer können Bewegungsprofile von Insekten, Singvögeln oder Fledermäusen erstellt werden. Mit Radar werden auch kleinste Lebewesen erfasst.
Die Sensorboxen selbst können unterschiedlich eingesetzt werden. Kleine Geräte werden von den Marburger Biologen auf dem Rücken von Fledermäusen und Vögeln platziert, um deren Bewegungsmuster zu erfassen. „Diese können dann von größeren Sensorboxen getrackt werden oder kommunizieren sogar selbstständig mit diesen, um erfasste Daten auszutauschen“, sagt Zobel. Größere Sensorboxen, auf Bäumen oder dem Waldboden, zeichnen eine Vielzahl an Daten, wie etwa Lichtintensität, Luftfeuchtigkeit, Temperatur, und sogar Geräusche und Bilder, auf. Mit Hilfe von maschinellem Lernen können Vogelstimmen direkt vor Ort bestimmt werden. „Einige Boxen sind aber auch an variablen Seilzug-Systemen an Bäumen angebracht“, erläutert Julian Zobel. Bei starker Hitze seien Insekten zum Beispiel eher im unteren Teil von Bäumen zu finden. Mit den beweglichen Sensorboxen könne man ihnen folgen und detaillierte Aussagen über das Verhalten im Wald treffen.
Die Darmstädter Forscher arbeiten seit Januar auch daran, ein autarkes und energieeffizientes Funknetzwerk aufzubauen, über das die im Wald gesammelten Daten an eine zentrale Datenplattform übermittelt werden können.
In der Stratosphäre können mit der genutzten Technologie Funksignale 700 Kilometer weit tragen, über Feldern ist eine Reichweite von zwölf Kilometer möglich, in Städten sind es weniger als ein Kilometer. „Da sind die Gebäude und Glasflächen im Weg“, erklärt Julian Zobel. Im Testgebiet beträgt die weiteste Entfernung immerhin 1270 Meter, wie die Darmstädter Forscher bei einer Messung im Wald herausgefunden haben.
Für die Kommunikation zwischen den Sensorboxen kommen in dem Projekt Natur 4.0 unterschiedliche Funktechnologien mit verschiedenen Reichweiten und Bandbreiten zum Einsatz. Um die Kommunikation zwischen den batteriebetriebenen Sensorboxen möglichst effizient zu gestalten, geht es in dem Projekt auch darum, die Daten durch eine automatische Vearbeitung vor Ort direkt zu reduzieren, um Strom und Speicherplatz zu sparen.
Mit Hilfe der neuen digitalen Methoden sollen künftig neue Prognosen möglich sein, etwa über Lebensräume und Frühwarnindikatoren für Veränderungen der Natur. Geplant ist, das Projekt zu einem „Citizen Science“-Projekt auszuweiten und Bürger direkt vor Ort einzubinden. Beispielsweise könnten später einmal Schülerklassen das Testgebiet besuchen und über zum Himmel gerichtete Fotoaufnahmen den Blattgrün-Anteil erfassen.