Statt lange Monologe zu halten, geht der Politiker vor der hessischen Landtagswahl auch immer wieder auf Rückfragen aus dem Publikum ein.
KREIS BERGSTRASSE. Da muss Tarek Al-Wazir nicht lange bitten: „Wir müssen wieder ins Diskutieren kommen“, lauten die Schlussworte des etwa viertelstündigen Eingangs-Statements. Spricht’s und befindet sich im Lorscher Palais von Hausen sogleich im Wortwechsel mit einigen, die ganz und gar nicht seiner Meinung sind. Eben noch haben sie in einer von 20 Windkraftgegnern bestückten Gegendemonstration dem grünen Umwelt-, Wirtschafts- und Verkehrsminister Unfreundliches über dessen Partei und Politik zugerufen – jetzt tauschen sie sich im voll besetzten Saal mit ihm aus.
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„Früher nannte man das ,Bürger fragen, Politiker antworten’“, sagt der stellvertretende Ministerpräsident, dessen Wahlkampf eine zeitgenössische Kommunikationsstörung beheben soll: „Man hört sich nicht mehr zu, sondern haut sich Glaubenssätze um die Ohren.“ Social Media habe, bei allem Nutzen, das Verharren auf dem eigenen Standpunkt auch noch verstärkt. Mit verheerenden Folgen: „Ohne Facebook & Co. wäre es weder zum Brexit gekommen, noch wäre Donald Trump US-Präsident.“
Dagegen soll das Format „Town Hall Meeting“ wirken, und in Lorsch funktioniert es tatsächlich ganz gut. Beglaubigt von der Anwesenheit dreier Magistratsmitglieder von CDU und SPD und gefestigt durch eine Ermahnung an Zwischenrufer kommt rasch eine Art Dialog zustande über die Themen, mit denen sich ein Minister der Grünen Ärger ausgerechnet mit Bürgerinitiativen und Umweltverbänden eingehandelt hat.
Windkraft: ja, Braunkohle: nein
Für ein echtes Gespräch geraten die Wortbeiträge des Spitzenkandidaten etwas zu lang, doch er sabbelt nicht, sondern spricht zur Sache. Dem Vorsitzenden einer Initiative, die (vergebens) gegen den Bau von Windrädern auf dem Kahlberg kämpft, lässt er die Behauptungen nicht durchgehen, die Genehmigung sei nicht ordnungsgemäß und vom Regierungspräsidium mit Nachdruck, aber ohne Rücksicht durchgepeitscht worden. In seine Erklärung baut Al-Wazir sogar die Überreichung des „Goldenen Schwachwindbeutels“ durch eine Frau aus Köln vor dem Palais ein: Wäre sie mal besser zum Hambacher Forst gefahren, sagt er und schildert etwas verschachtelt, warum Windkraft allemal das kleinere Übel gegenüber anderen Energieträgern sei: „Wer sich einmal einen Braunkohletagebau anschaut und sieht, welche Wunden das reißt, erkennt, dass manche Debatten in einen Zusammenhang gestellt werden müssen.“
Zu Al-Wazirs Offenheit zählt offenbar, auch mal offen zu sagen, dass für richtig und rechtmäßig Erkanntes auch gegen den Willen Betroffener durchgezogen wird: „Zur Energiewende gehören nun einmal Windräder, und irgendwo wird diese Wende konkret.“
Das wird die Windkraft-Widersacher so wenig zufriedenstellen wie den Vize-Vorsitzenden des Vereins „Mensch vor Verkehr“ die Auskunft des Ministers zum geplanten Bau einer Nord-Süd-Eisenbahnlinie längs durch den Kreis Bergstraße. „Am Ende entscheidet die Bahn, wie viele Kilometer sie unter die Erde geht“, erklärt er zur Bergsträßer Formel, es müsse ein etwa elf Kilometer langer bergmännischer Tunnel zwischen Langwaden und dem Lorscher Wald gegraben werden. Klar sei: „Wir brauchen diese Schienen.“ Zumal sie indirekt auch dem Nahverkehr zugutekämen. Auf Main-Neckar- und Riedbahn nämlich „passt kein einziger zusätzlicher Zug“. Das werde sich durch die dritte Trasse ändern, was auch für die Menschen im Kreis Kapazitäten schaffe.
Odenwaldbahn hat Vorrang vor der Nibelungenbahn
Die Elektrifizierung der Nibelungenbahn zwischen Worms und Bensheim dagegen sieht Tarek Al-Wazir als nicht so dringlich an. Da habe die Odenwaldbahn in jedem Fall Vorrang.
Fragen nach der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs oder der Bekämpfung von Glyphosat sowie eine Anklage gegen Verantwortliche für den Dieselskandal in Politik und Wirtschaft erweisen sich in Lorsch als willkommene Gelegenheit für den eloquenten Spitzenmann, das grüne Profil vor der Landtagswahl am 28. Oktober zu schärfen. Wie vier Tage zuvor CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier verliert auch Al-Wazir kein einziges schlechtes Wort über den Koalitionspartner von heute und Kontrahenten von einst. Im Gegenteil: „Wir können nach fünf Jahren mit gewissem Stolz sagen, dass wir das umgesetzt haben, wofür die Leute uns gewählt haben.“
Von Christian Knatz