Von Sabine SchinerPSYCHOTHERAPIE Kaum Chancen auf Behandlungsplatz
DARMSTADT/BERLIN - Derzeit werden nur vereinzelt Flüchtlinge, die traumatisiert sind, von Psychotherapeuten oder Psychiatern betreut. Experten schätzen, dass Hundertausende Hilfe brauchen. Pläne, wie diese Hilfe organisiert werden könnte, gibt es nicht.
Etwa 40 Prozent der Flüchtlinge in Deutschland sind traumatisiert, viele haben Depressionen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen oder leiden unter Angststörungen, heißt es bei der Bundespsychotherapeuten-Kammer in Berlin. Wenn ihnen nicht frühzeitig geholfen werde, könnten ihre psychischen Leiden chronisch werden.
In vielen Flüchtlingscamps sind ehrenamtliche Notfall-Seelsorger im Einsatz, die versuchen, den Menschen Halt zu geben. In besonders schweren Fällen werden Flüchtlinge in psychiatrischen Kliniken versorgt, in Einzelfällen auch ambulant. Mit Medikamenten allein ist es meist nicht getan. Doch eine umfassende psychotherapeutische Versorgung sieht das Asylbewerberleistungsgesetz derzeit nicht vor.
Die Bundespsychotherapeuten-Kammer fordert, dass Flüchtlinge zeitnah eine notwendige, ausreichende und zweckmäßige Psychotherapie bekommen – samt Dolmetschern. Die Finanzierung der Übersetzer müsse im Sozialgesetzbuch V verankert werden, heißt es auch bei den „Psychosozialen Zentren“. „Innerhalb der gesundheitlichen Regelversorgung sind die Aussichten auf einen Therapieplatz für Geflüchtete noch immer sehr gering“, heißt es in einer Stellungnahme der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der „Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (Baff)“ in Berlin. Nur etwa 3600 von 10 000 Flüchtlingen, die bei den bundesweit 26 Psychosozialen Zentren Hilfe gesucht hätten, konnten 2014 an niedergelassene Psychotherapeuten vermittelt werden. Ein großes Problem bei Flüchtlingen mit psychischen Erkrankungen sind zudem die sprachlichen Hürden und die kulturellen Unterschiede. „Ohne einen Dolmetscher ist das nicht zu machen“, heißt es beim Baff.
Es fehlt eine ausreichende Finanzierung, eine Krankenversicherungskarte für alle Flüchtlinge und es fehlen Ärzte, die die Versorgung übernehmen können. „Ich behandle derzeit zwei Flüchtlinge“, erzählt ein niedergelassener Neurologe aus Darmstadt, der anonym bleiben will, weil er nicht will, dass sich sein Engagement herumspricht. Er habe Arbeit bis über beide Ohren, die Praxis sei überlaufen, noch mehr Patienten könne er nicht betreuen. Er hofft, dass es bald zu Kooperationen im ambulanten und stationären Bereich kommt, um die Versorgung von Flüchtlingen zu regeln. Derzeit aber, so sein Fazit, sei noch kein Modell in Sicht.
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