Von Birgit ReutherPannen und Streit haben die ersten Jahre des Bioenergiedorfs Rai-Breitenbach begleitet. Nach vielen Fehlern geht es endlich aufwärts.
W
as waren sie stolz, die Rawischer, welch freudige Spannung lag an jenem Augusttag 2008 in der Luft: Ihr Bioenergiedorf Rai-Breitenbach ging offiziell in Betrieb - mit viel Politprominenz. Als Gastredner klopfte Hermann Scheer, der 2010 verstorbene "Solarpapst" der SPD, den Odenwäldern auf die Schultern. Zuvor hatten das Land Hessen und der Odenwaldkreis zusammen 430 000 Euro Zuschuss für das 3,2 Millionen Euro teure und zu 90 Prozent fremdfinanzierte Pilotprojekt lockergemacht.
Fast neun Jahre später blicken nicht wenige Mitglieder der Genossenschaft Bioenergiedorf Rai-Breitenbach e.G. mit heftigem Kopfschütteln auf jene ersten Jahre zurück: Es lief nicht rund in Heizkraftwerk und Genossenschaft. Die Sache, maßgeblich vorangetrieben von einem Visionär und Ortsbürger, war gut gemeint. Doch weder betriebswirtschaftlich, noch technisch und personell so aufgestellt, dass es auf Dauer gut gehen konnte.
Als die ersten größeren Verstimmungen und technischen Probleme offenkundig wurden, kam der Streit. In dem 900-Seelen-Dorf, wo damals 140 von gut 200 Häusern ans Nahwärmenetz der e.G. angeschlossen waren, rumpelte es gewaltig: Streit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat des genossenschaftlich organisierten Unternehmens, was auf beiden Seiten zu Rücktritten führte. Krach zwischen Freunden, unter Nachbarn, im Verwandtenkreis. Auch Handgreiflichkeiten gab es.
Als im Oktober 2009 klar wurde, dass der Holzhackschnitzel-Vergaser als zentraler Bestandteil zur Stromgewinnung nur knapp ein Drittel der kalkulierten Leistung brachte, schien eine Erhöhung des Wärmepreises unabwendbar. (Tatsächlich folgten später mehrere Preiserhöhungen.)
Erfindungsreicher Kampf
gegen die Brandversicherung
Im gleichen Monat - als hätte man nicht genug "Feuer unterm Dach" gehabt - brannte es im Kraftwerk: In einem Hackschnitzel-Bevorratungsbehälter war ein Schwelbrand entstanden; den Schaden schätzte die Kripo auf 800 000 Euro. Immerhin: Einen Großteil der Brand-Folgekosten wuppte die Genossenschaft dank eines erfindungsreichen Kampfes mit der Brandversicherung. Die Rawischer hatten dem Allianz-Konzern den "pazifistischen Krieg" erklärt und dabei wirtschaftsethische Grundsätze ins Feld geführt. Mit Erfolg: Nach einem Vergleich im Mai 2010 zahlte die Allianz 500 000 Euro.
Kurz zuvor hatte es eine weitere Schreckensnachricht gegeben: Die e.G. war nicht mehr zahlungsfähig. Der Aufsichtsrat setzte zum Befreiungsschlag an und entließ den damals ehrenamtlich tätigen Geschäftsführer.
Die Rawischer haben also einiges mitgemacht mit ihrem Pilotprojekt. Hat sich die Nerven und Kräfte zehrende ehrenamtliche Arbeit gelohnt? Ist ihr Baby nach all den Geburtswehen ein propperer Erwachsener geworden? Günter Verst, vom Landkreis delegiertes Mitglied des aktuellen Vorstands, zieht Bilanz: "Das war und ist eine gute Sache. Die aber nur funktionieren kann, weil uns die beiden örtlichen Schulen über 30 Prozent der erzeugten Wärmeenergie abnehmen." In dörflichen Strukturen mache ein solches Vorhaben nur Sinn, wenn ein Großabnehmer mit im Boot sei.
"Es war aber auch viel Dilettantismus im Spiel", erinnert sich der 75-Jährige, der bis 2008 Bürgermeister Breubergs war. So habe man im Lauf der Zeit vieles optimieren müssen, an der Steuerung der Anlage etwa oder am Rücklauf. Technisch und betriebswirtschaftlich viel besser aufgestellt als zuvor sehen sich die Rawischer vor allem aber nach dem Kauf ihrer neuen zentralen Kraftwerk-Komponente: Seit Oktober 2016 bollert in Rai-Breitenbach ein Verbrennungsofen der Firma Kohlbach. Der verbrennt von der Mülldeponie des MZVO in Langenbrombach angelieferte und bereits geschredderte Ast- und Grünabfälle. "Das hier genutzte Material darf deutlich mehr Restfeuchte haben als jenes im kleineren Hackschnitzel-Kessel nebenan. Es kommt uns im Einkauf viel günstiger und trägt zum Wertstoff-Kreislauf vor Ort bei", erklärt Günter Verst die Investition, die dazu beitragen soll, dass die e.G. ab 2018 jährlich ein Plus erzielt.
"So war der Winter 2016/17 der erste, in dem es wirklich gut lief." Warum es so lang gedauert hat, warum zuvor immer wieder mal Bewohner frieren mussten? "Wir hatten kein Geld und nicht genug Fachleute", erklärt das Vorstandsmitglied. Erst unter Einwirkung eines externen Fachmannes nahm die Neukonzeptionierung im Kraftwerk Gestalt an. "Das Darlehen für den längst ausrangierten Holzvergaser drückt uns noch heute", weist Verst zudem auf finanzielle Altlasten hin. Überhaupt sei es ein großer Fehler gewesen, die Sache zu fast 90 Prozent über Kredit zu finanzieren. "Das wirkt sich auf den Wärmepreis aus, den unsere Mitglieder zahlen müssen."
Ökologisch heizen sei halt teuer, wurde in jenen ersten Jahren gern mal gelästert. Ganz so ist es aber nicht, wie der erfahrene Kommunalpolitiker mit Verweis etwa auf Aspekte wie Abschreibungen und Wertverlust vorrechnet. "Diese Kosten bezieht privat aber keiner mit ein, also kann man das so auch nicht vergleichen." Dass sich all der Schaff im und ums Rai-Breitenbacher Kraftwerk lohnte und weiter lohnt, steht für Günter Verst außer Frage: "Wir werden 2016/17 fast sechs Millionen Kilowattstunden Wärmeenergie aus nachwachsenden Rohstoffen produzieren. Dadurch werden umgerechnet etwa 650 000 Liter Heizöl ersetzt." Dieser Aspekt wird gern mal vergessen.
Bitte loggen Sie sich ein, um einen Kommentar zu diesem Artikel zu verfassen. Debatten auf unseren Zeitungsportalen werden bewusst geführt. Kommentare, die Sie zur Veröffentlichung einstellen, werden daher unter ihrem Klarnamen (Vor- und Nachname) veröffentlicht. Bitte prüfen Sie daher, ob die von Ihnen bei ihrer Registrierung angegebenen Personalien zutreffend sind.
Die Zeichenzahl ist auf 1700 begrenzt. Die Redaktion behält sich vor, den Kommentar zu sichten und zu entscheiden, ob er freigeschaltet wird. Kommentare mit rechts- oder sittenwidrigen Inhalten, insbesondere Beleidigungen, nicht nachprüfbare Behauptungen, erkennbare Unwahrheiten und rassistische Andeutungen führen dazu, dass der Kommentar im Falle der Sichtung nicht freigeschaltet, ansonsten sofort gelöscht wird. Wir weisen darauf hin, dass alle Kommentare nach einigen Wochen automatisch wieder gelöscht werden.
Die Kommentare sind Meinungen der Verfasser.