Von Hans Dieter ErlenbachSÜDHESSEN - Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) in Leipzig entscheidet am Donnerstag dieser Woche über die Rechtmäßigkeit der Südumfliegung am Frankfurter Flughafen. Folgt das Gericht dem Urteil aus Kassel, könnte das fatale Folgen habe.
Der Vorsitzende der Fluglärmkommission, Thomas Jühe, nimmt kein Blatt vor den Mund. "Wird die Südumfliegung komplett gekippt, wären Raunheim, Flörsheim, sowie Teile Hochheims und Rüsselsheims unbewohnbar". Ein Horrorszenario. Denn dann hätten die Städte entlang des Mains bei Ostwind nicht nur die Flieger in Höhen von teilweise unter 300 Meter direkt über ihren Dächern, sondern würden auch bei Westwind von startenden Flugzeugen in niedriger Höhe überflogen. Das wären dann Lärmpegel von deutlich über 80 Dezibel. Raunheim gilt mit einem Dauerschallpegel von über 60 Dezibel schon heute als die am meisten mit Fluglärm belastete Kommune Deutschlands.
- DIE SÜDUMFLIEGUNG
(ha). Die 2011 eröffnete Nordwest-Landebahn machte neue Abflugrouten erforderlich, damit sich startende und landende Flugzeuge nicht in die Quere kommen. Vor allem die Abflüge nach Norden mussten neu geregelt werden. Die Flugzeuge fliegen deshalb erst Richtung Süden, um dann nach einer lang gezogenen Kurve nach Norden abzudrehen.
Die von der Deutschen Flugsicherung entworfene Routenführung wäre eigentlich unproblematisch, wenn nicht einige Piloten die vorgesehenen Kurven immer wieder überfliegen würden. Das führt dazu, dass aus Sicherheitsgründen nie zwei Flugzeuge parallel starten können, sondern immer nur versetzt. Damit wird jedoch die geplante Kapazität von 701.000 Flugbewegungen, die im Planfeststellungsbeschluss festgeschrieben ist, nicht erreicht.
Da durch die Südumfliegung einige Kommunen deutlich mehr Fluglärm haben, reichten acht Gemeinden, nämlich Trebur, Nauheim, Groß-Gerau, Nackenheim, Nierstein, Lörzweiler, Ober-Olm und Klein-Winternheim, sowie vier Privatkläger Klage gegen die Südumfliegung ein. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel hat die Südumfliegung für rechtswidrig erklärt, weil mit ihr die geplante Kapazität des Flughafens nicht erreicht werde.
Wird die Südumfliegung auch vom Bundesverwaltungsgericht (BVG) in Leipzig gekippt, muss die Flugsicherung innerhalb von 90 Tagen eine Ersatzroute entwickeln. Das könnte bedeuten, dass den ganzen Tag über auf der derzeitigen Nordroute geflogen wird, die momentan wegen des dann geringeren Flugzeugaufkommens nur in den Nachtstunden genutzt wird. Vermutlich müssen dafür die Landungen auf der neuen Nordwestbahn reduziert und mehr auf der Südbahn gelandet werden. Die endgültige Alternativroute zur Südumfliegung muss dann neu festgelegt und vom Bundesamt für Flugsicherung und der Fluglärmkommission abgesegnet werde. Das kann bis zu einem Jahr oder womöglich noch länger dauern.
Die Klage einiger Kommunen gegen die Südumfliegung könnte sich nach Jühes Ansicht aber auch als Bumerang für die Kläger erweisen. Sie könnten nämlich auch mehr Lärm bekommen, als sie bisher haben.
Die derzeitige Route der Südumfliegung wurde im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Nordwest-Landebahn vom Bundesamt für Flugsicherung (BFS) so ausgewählt, dass bewohnte Bereiche möglichst wenig überflogen werden. "Momentan haben wir eine lärmarme Variante", so Jühe. Jede andere Variante werde mehr Bürger mit Fluglärm belasten als bisher. Nicht nur in Hessen, sondern auch jenseits des Rheins.
Wie könnte das Urteil in Leipzig ausfallen, nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel (VGH) die Südumfliegung für rechtswidrig erklärt hat? Jühe geht davon aus, dass sich das Gericht in Leipzig dem Kasseler Urteil kaum vollumfänglich anschließt. Er hoffe auf eine Aufhebung des Kasseler Urteils in Leipzig oder zumindest auf ein Urteil, das zur bisherigen Routenführung lediglich einige Auflagen macht, die Südumfliegung aber nicht komplett kippt. Die Leipziger Richter könnten zwar die Kapazitätsfrage, die in Kassel eine große Rolle spielte (siehe Infobox), nicht ausblenden, sie müssten aber auch den Lärmschutz im Blick haben. Vielleicht werde es eine Zwischenlösung geben, die zwischen 600 000 und 650 000 Flugbewegungen pro Jahr zulasse, aber vorerst nicht die im Planfeststellungsbeschluss genannte volle Kapazität von 701 000 Flugbewegungen.
Treburs Bürgermeister Carsten Sittmann (CDU) hofft indessen auf Bestätigung des Kassler Urteils. Trebur gehört neben Groß-Gerau und Nauheim zu den hessischen Klägern gegen die Südumfliegung. Immerhin seien die Kasseler Richter ihrer Sache so sicher gewesen, dass sie keine Revision zugelassen hätten. Die hat sich das BFS jedoch erstritten. Über die Folgen eines Urteils aus Leipzig will Sittmann nicht spekulieren, bevor die Richter geurteilt haben, so Sittmann.
Gespannt wird der Richterspruch aus Leipzig auch in Mainz erwartet, denn würde die Südumfliegung komplett aufgehoben, bekämen die Mainzer einen Teil der Flieger, die über Raunheim/Rüsselsheim und Flörsheim/Hochheim starten, über der Innenstadt und über einigen Stadtteilen ab. Man wolle sich aber erst zu möglichen Folgen äußern, wenn das Urteil vorliege, so Pressesprecher Ralf Peterhanwahr.
Die Pressestelle der Verbandsgemeinde Rhein-Selz, früher Nierstein-Oppenheim, war tagelang nur per Mailbox erreichbar, Bitten um einen Rückruf wurden nicht erfüllt.
Der Groß-Gerauer Landrat Thomas Will (SPD), der auch einer der Sprecher der Aktion "Zukunft Rhein-Main" ist, sagte, er sehe dem Urteil aus Leipzig mit Interesse entgegen, wolle sich aber erst nach der Urteilsverkündung zu den Folgen zu Wort melden.
Der Landrat des Landkreises Mainz-Bingen, Claus Schick (SPD) gehe von einer Bestätigung des Kasseler Urteils aus, so Pressesprecher Thomas Zöller. Wenn danach neue Abflugrouten festgelegt würden, müssten die betroffenen Kommunen beteiligt werden, so Zöller.
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