Von Thomas WolffDARMSTADT - An fünf öffentlichen Schulen in Darmstadt müssen Lehrer und Schüler derzeit ohne Leitung auskommen. Stellvertreter und Kollegen übernehmen für mindestens ein halbes Jahr die Führungsaufgaben, teils werden auch Leiter anderer Einrichtungen eingespannt, um die Stelle kommissarisch zu übernehmen. Alle Positionen sind zwar ausgeschrieben, aber: "All diese Verfahren werden noch dauern", heißt es auf Nachfrage beim Hessischen Kultusministerium.
Eine genaue zeitliche Perspektive könne in keinem der Fälle genannt werden, sagt Sprecher Philipp Bender. Die Häufung sei aber nicht ungewöhnlich. In Hessen gebe es derzeit eine hohe Zahl an offenen Schulleiterstellen, viele Verfahren laufen parallel - und mancher Bewerber begibt sich gleich mehrfach ins Rennen. Das hat Folgen.
- Das Auswahlverfahren
Die Verfahren für die Neubesetzung vakanter Schulleiter-Posten verzögern sich neben den allfälligen Bewerber-Klagen auch durch teils lange Entscheidungswege. Ein Anforderungsprofil der Schule muss dem Ministerium oder Schulamt vorliegen. Zum Bewerber muss eine dienstliche Bewertung vorliegen - "das wird noch schwieriger, wenn die aus einem anderen Bundesland kommen", sagt Ralph von Kymmel vom Staatlichen Schulamt Darmstadt, "die haben teils ganz andere Formate für die Bewertung als in Hessen".
Wird nicht nach Aktenlage entschieden, gibt es ein Überprüfungsverfahren, das die Qualifikation untersuchen soll. Manchmal mit dem Ergebnis, dass doch nochmal neu ausgeschrieben wird. Noch ein Grund für Verzögerungen: Mancher aussichtsreiche Kandidat zieht kurzfristig zurück - weil er bereits eine Zusage in einem anderen Verfahren bekommen hat. (two)
- Kommentar: "Pragmatisch" von Thomas Wolff
Gut, dass Bildung Ländersache ist. Sonst könnte ja jeder kommen und sich einfach als Schulleiter bewerben. Vielleicht gar einer oder eine aus einem ganz anderen Bundesland. So was passiert ja tatsächlich. Damit es aber keinem dieser Kandidaten zu leicht gemacht wird, und auch nicht den Entscheidern im Staatlichen Schulamt oder gar im Hessischen Kultusministerium, hat jedes Bundesland seine eigenen Formulare, seine eigenen Kriterien, nach denen die Bewerber beurteilt werden. Die Papiere werden dann über die Landesgrenzen verschickt und müssen erstmal entschlüsselt und verglichen werden.
Dass sich das alles ganz schön hinziehen kann, ist nur verständlich. Bis zu zwei Jahre, so ist zu hören, kann es schon mal dauern, bis ein Schulleiterposten wieder besetzt ist. Ziemlich sicher gibt es Schulen, die von noch ärgeren Fällen zu berichten wissen. Scherz beiseite: Angesichts der kafkaesk anmutenden Auswahlverfahren und Klagewege ist es tröstlich zu sehen, wie pragmatisch das Rest-Kollegium an den betroffenen Schulen diese Zeiten der Vakanz überbrückt. Da legen viele eine ordentliche Schippe drauf auf ihr nicht geringes Arbeitspensum. Und bewahren Gelassenheit gegenüber einer Bürokratie, die immer irgendwie begründbar, aber schwer zu fassen ist.
Bis Februar ein Doppeljob
Betroffen sind in Darmstadt fast alle Schulformen. Die Justus-Liebig-Schule wird vom stellvertretenden Schulleiter Ulf Keller geführt, unterstützt durch das erweiterte Leitungsteam. Am Ludwig-Georgs-Gymnasium führt Siglinde Lischka die Geschäfte zusätzlich zu ihrem angestammten Job an der Bertolt-Brecht-Schule. Die IGS Erich Kästner in Kranichstein hat ebenfalls eine kommissarische Leitung von außerhalb: Brunhilde Muthmann von der Griesheimer Gerhart-Hauptmann-Schule, einer Kooperativen Gesamtschule. An der Herderschule in Bessungen, einer Sprachheilschule, führt die stellvertretende Schulleiterin Dorothee Fischer seit Anfang August die Geschäfte. An der Andersenschule, einer Eberstädter Grundschule, ist die bisherige Leiterin Marion Aufleger zwar seit dem neuen Schuljahr an die Schillerschule ins Martinsviertel gewechselt. Mangels Nachfolge ist sie aber auch weiter für ihre alte Einrichtung leitend tätig. Bis Februar hat das Schulamt sie gebeten, den Doppeljob zu machen.
An den Schulen wird die Mehrbelastung unterschiedlich aufgefangen; Unterricht fällt nach Angaben der Schulen nirgends aus.
"Natürlich ist es eine Mehrbelastung", sagt Ulf Keller, seit 2013 mit der Stellvertreterrolle an der Justus-Liebig-Schule beauftragt. Aufgaben wie die Betreuung der Referendare liegen jetzt komplett bei ihm. Das mache allein schon acht Stunden Mehrarbeit pro Woche aus. Er habe aber "nicht die komplette Doppel-Belastung". Viele Aufgaben würden "innerhalb des Schulleitungsteams" verteilt. Allerdings: Eine dieser vier Stellen ist gar nicht besetzt, eine weitere Kollegin aus diesem Kreis wird zum Ende des Halbjahres ausscheiden.
Das Staatliche Schulamt und das Kultusministerium bieten den Schulen für solche Notfälle an, zusätzliche Stunden zu bezahlen, sogenannte Deputate. Beispiel Justus-Liebig-Schule: Keller und Kollegen haben Aushilfen "in der Größenordnung von gut zweieinhalb Stellen" gefunden, die an der LIO unterrichten, als Angestellte mit Zeitverträgen; damit werden auch Schwangerschaftsvertretungen organisiert.
Für Schulleiterin Siglinde Lischka ist der Job als Übergangsleiterin des LGG "eine Herzensangelegentheit", sagt sie. Sie freue sich auf die neuen Aufgaben wie die Unterstützung bei der Organisation der Sekundarstufe 1 - die gibt es nicht an der Brecht-Schule. Der Preis: "Mein Tag ist noch länger als früher", zwölf Stunden im Schnitt seien normal.
An der Erich-Kästner-Schule, einer Integrierten Gesamtschule, nutzt man die Extra-Deputate voll aus, sagt Dominik Dilcher, bisher stellvertretender Schulleiter. Die Griesheimer Kollegin Muthmann, die nun kommissarisch führt, sei mit sechs Stunden pro Woche abgeordnet nach Darmstadt, "das funktioniert problemlos".
Wie lange all diese Übergangslösungen dauern, ist offen. "Im Schnitt dauern die Verfahren acht Monate", heißt es beim Ministerium. An Bewerbern mangele es nicht. Allerdings: Die Stelle an der Justus-Liebig-Schule hat man schon zum zweiten Mal ausgeschrieben; zu den Gründen dürfe nichts gesagt werden. Ansonsten drohe eventuell die Klage eines Bewerbers - "ein häufiger Grund für eine Verzögerung bei der Besetzung", sagt das Ministerium. Am LGG läuft die aktuelle Ausschreibung bis Ende September.
Auch bei der Andersenschule "wollen wir neu ausschreiben", sagt Ralph von Kymmel, Leiter des Staatlichen Schulamts Darmstadt, das in diesem Fall zuständig ist. Man wolle "eine Erweiterung des Bewerberkreises" erreichen.
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