Wer war der Mann, dem hier in Darmstadt so viel Ehre gebührt? So viel ist klar: Ob jung oder jung geblieben – auf den Spuren des am 25. Juni 1852 in Schwabach bei Nürnberg geborenen Kittlers wandelt wohl früher oder später jeder Darmstädter mal, wenn vielleicht auch unwissend.
Denn wer in der Centralstation feiert, ein Konzert, einen Flohmarkt oder eine Ausstellung besucht, ist dem Pionier der Elektrotechnik dicht auf den Fersen. Deren Bau geht nämlich auf die Initiative Kittlers zurück. Er überzeugte seinerzeit die Politiker, ein Kraftwerk zu errichten, das ganz Darmstadt mit elektrischem Strom versorgen sollte. Im Herzen der Stadt baute die Firma Siemens daraufhin eines der ersten deutschen Elektrizitätswerke, das ab 1888 Strom lieferte. Kittler zeichnete also maßgeblich für den Aufbau der öffentlichen Stromversorgung in Darmstadt verantwortlich, man könnte sagen, Kittler knipste in Darmstadt das (elektrische) Licht an.
Der Vormarsch elektrischer Energie bekam allerdings schon 1882 entscheidenden Auftrieb. In dem Jahr hatte Thomas Edison in New York das erste Kraftwerk der Welt eröffnet, das Privathaushalte mit Strom für Glühbirnen versorgte. Die Begeisterung ob der sauberen Energie war groß, kannte man bis dato doch hauptsächlich qualmende und rußende Dampfmaschinen als Stromlieferanten.
Als Professor außerordentlich beliebt
Der Wunsch, elektrische Energie weltweit zu etablieren, ließ nicht lange auf sich warten. Allerdings fehlten zumindest in Deutschland ausgebildete Spezialisten für Elektrotechnik. Auf diesen Fachkräftemangel reagierte die Technische Hochschule Darmstadt, indem sie noch im gleichen Jahr den weltweit ersten Lehrstuhl für Elektrotechnik gründete. Als Dozenten berief sie im Herbst Erasmus Kittler, der den Lehrstuhl sofort annahm. Der frischgebackene Professor für Elektrotechnik hielt ab Januar 1883 Vorlesungen in Darmstadt. Die waren ein voller Erfolg. „Kittler hat die Universität gerettet“, sagt Peter Engels, Leiter des Stadtarchivs. „Wegen der geringen Zahl an Studenten war deren Schließung längst beschlossen.“
Seine Ausbildung begann der Bub indes in seiner fränkischen Heimat. Dort besuchte er von 1869 bis 1871 das Lehrerseminar, bevor er in Nürnberg als Volksschullehrer arbeitete. Während seiner Lehrtätigkeit bildete der Franke sich weiter, legte 1875 am Nürnberger Realgymnasium die Abiturprüfung ab und studierte an der Technischen Hochschule in München und an der Universität in Würzburg Mathematik und Naturwissenschaften.
1879 schloss Kittler sein Studium mit dem Staatsexamen für Physik und Chemie ab und legte damit den Grundstein für seine akademische Laufbahn. Zunächst arbeitete er als Assistent am Physikalischen Institut an der TH München. 1880 promovierte er an der Universität Würzburg, 1881 folgte die Habilitation in München.
Dort war er 1811 auch an der Internationalen Elektrizitätsausstellung beteiligt, knüpfte jede Menge Kontakte zu Industriellen und Vertretern der deutschen Physik und Elektrotechnik. Darunter war auch der Darmstädter Physikprofessor Ernst Dorn – die Verbindung zur dortigen Hochschule stand, das Ergebnis ist bekannt. Als Professor war Kittler außerordentlich beliebt; seinen praxisorientierten Vorlesungen, in denen oft Spulen, Elektromotoren und Messgeräte zum Einsatz kamen, lauschten nicht nur Studenten, sondern auch zahlreiche Darmstädter Beamte, Offiziere, Politiker sowie Angehörige des Bürgertums.
Zahlreiche seiner Schüler machen Karriere
Auch die Zahlen sprechen für sich: 1888 studierten von 279 TH-Studenten 82 Elektrotechnik, um die Jahrhundertwende waren mehr schon als 600 Studenten in diesem Fach eingeschrieben. Aus Kittlers Schülerkreis gingen wiederum einige Professoren und leitende Angestellte namhafter Unternehmen hervor. Michail von Dolivo-Dobrowolsky etwa, einer seiner Assistenten, wurde Chefkonstrukteur bei der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) und erfand dort den Drehstrommotor.
Bis zur Emeritierung Kittlers 1915 hatte sich das Institut für Elektrotechnik der TH Darmstadt zum führenden Institut seiner Art im kaiserlichen Deutschland entwickelt. Die Bedeutung Kittlers strahlte weit über Darmstadt hinaus; neben seiner Lehrtätigkeit reiste Kittler als Elektrifizierungsberater durch das Reich. In der Funktion war er an Planung und Bau zahlreicher Elektrizitätswerke im In- und Ausland beteiligt. Neben der Darmstädter Centralstation entwickelte er E-Werke in Mainz und Worms, Bremen und Düsseldorf, Budapest und Danzig. „Kittler hat nicht nur eine neue Wissenschaftsgattung gegründet“, so Engels, „er hat auch zehntausende Arbeitsplätze geschaffen.“ Ohne Kittler, ist Engels sicher, gäbe es heute die HEAG nicht.
Erasmus Kittler, Pionier und Vater der Elektrotechnik, starb am 13. März 1929 in Darmstadt. Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Waldfriedhof, L 6a 15/16.
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