Von Ulrike BernauerRODAU - Für die meisten Besucher ist der Wilde Westen auch in Rodau weit entfernt. Wenn der Schützenverein Tell 1925 zu seinem Westerntreffen aufruft, begreifen die Gäste das dreitägige Treffen als ein übliches Fest, mit einigen Ausnahmen. Wildschweinbraten gibt es sonst nicht so häufig, die Schützen lassen hingegen am Freitagabend die Schwarte der Sau krachen. Auch das Böllerschießen kann nicht jeder Verein vorweisen, die historischen Kanonen knallen am Samstagnachmittag auf dem Anni-Merz-Gelände.
Das Leben im Zelt ist auch ein Ausstieg aus dem Alltag
- DIE SIEGER
Bei den Wild-West-Tagen des Schützenvereins überreichte der Vorsitzende Klaus Ehrhardt die Pokale und Urkunden. Bei den Damen siegte Petra Buchwald mit 115 Ringen, bei den Herren hatte Peter Knöll von den Stadtpfeifern mit 112 Punkten die Nase ganz vorn.
Bei den Damenmannschaften stand der Kerbverein mit 247 Ringen auf dem obersten Platz, bei den Herren hatten die Stadtpfeifer mit 315 Ringen den Vogel abgeschossen. (ube)
Für einige Gäste ist das Westerntreffen aber kein übliches Fest, sondern mehr ein Ausstieg aus dem Alltag. Georg und Marion Ruth kommen aus Reinheim, sie haben ihr Zelt schon am Vatertag auf dem Gelände des Rodauer Schützenvereins aufgeschlagen. Erst am Pfingstmontag werden die Zeltstangen wieder abgebaut. „Drei Tage hier sind wie zwei Wochen Urlaub“, sagt das Ehepaar. Das Zelt ist kein Plastikzelt, sondern aus Naturmaterialien, Plastik ist generell verpönt bei den Ruths.
Im Zelt gibt es keinen Strom, Batterien gehören zu den No-Gos. Also sind auch Radio, Wasserkocher oder Kaffeemaschine verbannt. Wolfgang Pilsel, unter dem Namen Bobby bekannt, hat zwar sein Zuhause in Rodau, aber während der Westerntage lebt er mit Gattin Pia ebenfalls im Zelt und fühlt sich wie ein Trapper in den 1850er Jahren in Amerika. Der zweite Vorsitzende des Rodauer Schützenvereins nimmt sich genauso wie die Ruths öfter eine Auszeit vom Alltag und setzt bei Westerntreffen, die in ganz Deutschland stattfinden, auf ein ruhigeres Leben „back to the roots“. Gekocht wird über dem Lagerfeuer, das müde Haupt wird in der Nacht auf ein selbstgezimmertes Bett gelegt und auch die Kleidung ist selbstgefertigt. Ute und Freddy Silbermann aus Wembach bevorzugen Hosen aus Hirschleder und räumen mit einem Vorurteil auf. Auch damals trugen die Frauen nicht immer die weit ausladenden Röcke, sondern mitunter auch Hosen.
Die Silbermanns haben sich die Zeit von 1861 bis 1863 für ihren Kleidungs- und Lebensstil während der Westerntage auserkoren. Wobei man es in Rodau nicht ganz so ernst sieht wie bei manchen anderen Westerntreffen. „Hier stehen Autos auf dem Platz“, sagt Pilsel, „und die Musik, die vom Vereinsheim herüberweht, ist auch alles andere als zeitgemäß“. Bei anderen Treffen wird das alles strenger gehandhabt, aber in Rodau ist das Gelände sehr klein und familiär, lediglich sechs Zelte haben hier Platz. Sonst wird sehr viel Wert auf die Authentizität der Kleidung gelegt, Turnschuhe wären ein absoluter Tabubruch, aber auch das Aufsuchen der Dusche kommt nicht in Frage. Das bedeutet nun nicht, dass alle nach zwei, drei Tagen bei sommerlichen Temperaturen das Muffeln anfangen, gewaschen wird sich schlicht über der Waschschüssel. Geschirr und Küchengeräte sind aus Steingut, Metall oder Holz. Pilsel hat sich eine Geschirrkiste gebaut, die geschlossen alles zum Transport aufnimmt, geöffnet als Regal dient.
Die Zeltbewohner kennen sich untereinander und sind teilweise schon dicke Freundschaften eingegangen. Mit den anderen Gästen haben sie wenig Kontakt, die Festbesucher, die mal zum Mittagessen oder abends vorbeischauen, haben ganz offensichtlich Berührungsängste. Dabei freuen sich sowohl die Pilsels als auch die Ruths oder die Silbermanns, wenn man an der Glocke läutet, die an der Zeltstange hängt. Sie erzählen gerne von ihrer Auszeit aus dem Alltag und warum es ihnen so viel gibt, mal in eine andere Haut zu schlüpfen.
Bitte loggen Sie sich ein, um einen Kommentar zu diesem Artikel zu verfassen. Debatten auf unseren Zeitungsportalen werden bewusst geführt. Kommentare, die Sie zur Veröffentlichung einstellen, werden daher unter ihrem Klarnamen (Vor- und Nachname) veröffentlicht. Bitte prüfen Sie daher, ob die von Ihnen bei ihrer Registrierung angegebenen Personalien zutreffend sind.
Die Zeichenzahl ist auf 1700 begrenzt. Die Redaktion behält sich vor, den Kommentar zu sichten und zu entscheiden, ob er freigeschaltet wird. Kommentare mit rechts- oder sittenwidrigen Inhalten, insbesondere Beleidigungen, nicht nachprüfbare Behauptungen, erkennbare Unwahrheiten und rassistische Andeutungen führen dazu, dass der Kommentar im Falle der Sichtung nicht freigeschaltet, ansonsten sofort gelöscht wird. Wir weisen darauf hin, dass alle Kommentare nach einigen Wochen automatisch wieder gelöscht werden.
Die Kommentare sind Meinungen der Verfasser.