Von Reiner TraboldDIEBURG - Aus, aus aus, liebe Narren. Die Fastnacht ist vorbei. Aschermittwoch. Katerstimmung. Doch davor ist's am Dienstag beim Umzug in Dieburg unter dem närrischen Motto "2+0+1+8=11 gleich Fassenacht" noch ein letztes Mal hoch hergegangen. Zehntausende säumen die Strecke durch die Stadt und feiern ausgelassen mit vielstimmigem "Äla". Wie von Gott Jokus bestellt, scheint die Sonne, als die Narrenschar den bunten Schlusspunkt unter die Kampagne 2017/18 setzt. Sie entschädigt die Fastnachter, nachdem der Zug 2016 wegen einer Orkanwarnung ausfiel und der Zug 2017 unter schlechtem Wetter zu leiden hatte.
Bis auf wenige Ausnahmen ist die Narrenschar dem Aufruf gefolgt, aus Sicherheitsgründen auf Waffen-Attrappen zu verzichten, und sie verhält sich friedlich. Nur die "Deppchen" haben sich unter dem Motto "Spiel mir das Lied vom Äla" große Pistolen an die Cowboyhüte geklebt und haben Indianer mit Pfeil und Bogen im Tross. Der "lauten Suss" bleibt es vorbehalten zu böllern. Selten geworden sind die Burka-Fastnachter im Domino oder Masken, die nach altem Brauch den bösen Winter vertreiben sollen. Stattdessen strahlende Gesichter und ausgelassene Stimmung.
Thomas Lewis führt als Zugmarschall den närrischen Lindwurm durch die von Baustellen befreiten Straßen. Er bestimmt, wo sich die mehr als 60 Gruppen beim Aufstellen in der Alten Mainzer Landstraße einsortieren. Sie machen den Umzug vom "Närrischen Streichorchester" (Zugnummer 5) bis zu den "Huppdolle" (97) zum Defilee kreativer und mit viel Fantasie angefertigter Masken und Kostüme.
Auf Wagen zeigen sich die Prinzenpaare Andreas II. ("Sing-Sang-Sänger Schieß-Peng-Bum, Hei-Hupp-Hipp de Telekum") und Julia II. ("Zucker-Zart Zeremo-Wese, Petit Madame de Drigger-Scheese") und der Narrennachwuchs Daniel I. und Lana I. dem Narrenvolk. Auch die Ex-Tollitäten, der neue KVD-Chef Günter Hüttig, der im vergangenen Jahr noch als "Grand Seniör de Kebb de Wää" an der Seite von Kaja I. ("Domdöse de la Gard' de Danse") das Narrenzepter trug, winken dem Volk von hoch oben zu.
Auch der Elferrat grüßt mit donnerndem Äla. Der Sportclub Hassia surft mit einem Mottowagen durch "Dibboijer Gasse". Schwere Limousinen ziehen Motivwagen ohne politische Karikaturen, sieht man vom Motivwagen der "Krummtrährer" ab, der die chaotische Verkehrssituation in Dieburg auf die Schippe nimmt.
Das Publikum fühlt sich bestens unterhalten, tanzt und singt mit. Es gelingt zwar nicht, mit allen Besuchern am Straßenrand zu sprechen, aber Waldi Kloss ist wie jedes Jahr aus dem Schwarzwald angereist, um sich die Kehle heiser zu schreien. Aus Groß-Zimmern kommt Karl Feix "ganz bewusst" ins benachbarte Dieburg. Die Fastnachtstradition müsse gepflegt werden, wie in Zimmern die Kerb, sagt er.
Dieter Kroll aus Horzem (Habitzheim), der den Zug 40 Jahre lang anführte und seit einigen Jahren im "Ruhestand" ist, hat die Fastnacht im Blut. Im Ruhestand ist auch Wieland Becker, einst eine große Stimme der "Speeslochfinken" und stadtbekannter Liedermacher. "Es sind jetzt Jüngere dran", sagt der 62-Jährige. Der Dibboijer Wilfried Klenk, Mitglied der "Hoggebleiwer", hat sich mit einer schwarzen Kraushaarperücke unkenntlich gemacht. Er trägt stolz seinen Orden, der ihm als "Fastnachts-Techniker" verliehen wurde.
Als Zugplakettenverkäufer ist Landrat Klaus Peter Schellhaas mit vielen anderen unterwegs; er ist zufrieden mit dem Verkauf. Andere bedauern die mangelnde Bereitschaft des närrischen Fußvolks, sich einen "Äla-Sticker" für 2,50 Euro ans Revers zu heften. "Was willste machen, wenn sie einfach an dir vorbeilaufen?", winkt Ehrenpräsident Wolfgang Dörr ab, der im Steinweg Anstecker anbietet.
Friedel Enders, bis 2017 Vorsitzender des mitgliederstärksten Karnevalvereins in Deutschland, ist nachdenklich: "Viele Narren sind verrückt genug zu glauben, Narretei sei wohlfeil. Dabei müssen wir mit dem Geld alle Kosten dieses Umzugs finanzieren."
Musikalisch haut das Dieburger Zugprogramm mit dem Fanfarencorps aus Groß-Zimmern, Spielmannszügen aus Spachbrücken, Messel, aus Darmstadt, Roßdorf, Schaafheim, Klein-Umstadt, Ober-Roden und Ronneburg, die Feuerwehrmusikanten Kleestadt, die Show Marching Band aus Michelstadt sowie die Hofkapelle des KVD kräftig auf die Pauke. Viele Gruppen haben freilich ihre eigene lautstarke Disco mitgebracht.
Noch bunter machen den Dibboijer Umzug Gastgruppen wie die "Schlurbi-Clique & Dännle Häxen" aus dem alemannischen Süden oder die hessischen Gugge-Musiker "Kinziggeister" aus Erlensee sowie die Gruppen aus den Partnerstädten Mlada Boleslaw und Aubergenville mit der Königin (La Reine) und ihren Musketieren. "Würden wir alle Gruppen mitlaufen lassen, die sich zum Teil seit Jahren bewerben, der Umzug wäre am Abend noch nicht durch", sagt Zugmarschall Lewis.
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