Von Christian KnatzKREIS BERGSTRASSE - Radikalismus – 2014 war von Aktivisten im Kreis Bergstraße so gut wie nichts zu bemerken – Fachleute warnen aber
Im abgelaufenen Jahr ist von der rechtsradikalen Szene im Kreis Bergstraße nahezu nichts zu hören und sehen gewesen. Das hat Gründe, wie Experten erklären. Sie sagen aber auch: Es gibt keinen Grund zur dauerhaften Entwarnung.
Anlass zur Freude haben diejenigen immerhin, die sich gegen rechte Umtriebe engagieren: Obwohl seit Ende 2013 viele hundert Flüchtlinge vor allem aus Afrika in den Kreis geströmt sind, hat dies zu keinen wahrnehmbaren Abwehraktionen mit rechtsradikalem Hintergrund geführt. „Zum Glück sind wir bisher von Heimsuchungen verschont geblieben“, sagt Manfred Forell, Sprecher der Bergsträßer Initiative gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. „Es gab keine Aufmärsche, keine Proteste, nichts dergleichen.“
Keine Aufwallung gegen Asylbewerber
Im November hatten Vertreter der Initiative mit dem Bergsträßer Landrat Matthias Wilkes (CDU) ein Gespräch über ein neues Angebot der Gruppe geführt: Damit die Aufnahme der Asylbewerber problemlos bleibt, werden Kommunen beraten. Nach dem Gedankenaustausch stellt der Landrat frohgemut fest, „dass die in den letzten Jahren immer wieder von sich reden machende Szene von Rechtsradikalen und Neonazis im Kreis Bergstraße zur Zeit nicht mehr zu sehen ist“.
Gestützt wird sein Befund von den Staatsschützern im Polizeipräsidium Südhessen: „Die Situation hat sich entspannt“, sagt eine Sprecherin dem ECHO.
Freilich sei die rechte Szene nicht aus dem Kreisgebiet verschwunden, merkt Forell an. „Sie schlummert aber mehr oder weniger.“ 2013 und 2014 habe es einen geglückten und einen missglückten Versuch gegeben, im Weschnitztal Konzerte mit Rechtsrock zu organisieren, sonst gab es nichts. Keine Kundgebung also wie in Bensheim im August 2012, keine Störung vermeintlich linker Veranstaltungen und fast keine Aufkleber oder Schmierereien.
Das kann Manfred Lang bestätigen. Der Bibliser, der im Mai 2013 eine Putztruppe auf die Beine stellte, die rechte Hinterlassenschaften aus dem Ortsbild seiner Heimatgemeinde tilgte, sagt, es gebe „so gut wie keine Aufkleber mehr, allenfalls ein paar in der Hauptstraße“. Früher waren vor allem die „Nationalen Sozialisten Ried“ als Verteiler aktiv, ein Grüppchen, das ein junger Mann aus Biblis um sich geschart hatte. Der einschlägig Vorbestrafte ist nicht mehr in Biblis, und das ist aus Sicht der Fachleute ein Grund für die relative Ruhe im Kreis. „Dieser Hauptprotagonist ist außerhalb Hessens verzogen“, heißt es aus dem Polizeipräsidium in Darmstadt. Genauer gesagt ist er schon im September 2013 Richtung Ludwigshafen abgewandert; angeblich hat er sich von der Szene gelöst. Die hat freilich in Ludwigshafen ein Hauptquartier, denn von dort koordiniert das eng mit der NPD verbundene „Aktionsbündnis Rhein-Neckar“ Aktionen in der Region – und darüber hinaus. Für den berüchtigten „Hogesa“-Aufmarsch in Köln im Oktober 2014 brachte diese Leitstelle nach Angaben von Manfred Forell knapp 30 Teilnehmer zusammen, auch aus den Kreisen Bergstraße und Odenwald. Letzterer war 2014 Schauplatz von wesentlich mehr rechten Umtrieben vom sogenannten Propagandadelikt bis zur Bedrohung. Der Experte warnt daher, die Inaktivität an der Bergstraße misszuverstehen: Die Aktivisten gebe es noch, sie handelten aber vermehrt anderswo: im Odenwald oder im Kreis Groß-Gerau. In Weinheim gab es überdies im Herbst den Bundesparteitag der NPD; der nächste ist für 2015 dort angemeldet.
Nichts dergleichen verzeichnen Bensheim oder Heppenheim. Beunruhigend schien der „Nationale Widerstand Bergstraße“, der den Bensheimer Bahnhof zum Treffpunkt erkoren hatte. Doch nach etlichen Polizeikontrollen und einem Urteil vor dem Amtsgericht Bensheim war auch dort Ruhe.
Hat Kontrolldruck die Rechten vertrieben? Manfred Forell sagt vorsichtig, die Arbeit von Polizei und Freiwilligen „trägt schon Früchte“, vom Landrat gibt es ein dickes Lob für das Wirken der Initiative. Die Polizei wiederum sagt, das sei „eine Mutmaßung – denkbar, aber nicht messbar“.
Undenkbar ist für Forell, dass analog zur Dresdener „Pegida“ eine Organisation Tausende an der Bergstraße gegen Ausländer auf die Beine bringt. Ausgeprägt sei im hiesigen weltoffeneren Klima gerade das Gegenteil, eine „neue Willkommenskultur in unserer Region für neu ankommende Asylbewerber“, von der Landrat Wilkes schwärmt. Auch die Initiative gegen Rechts ist zufrieden. „Kein Vergleich zu den 90ern“, als es vielerorts Feindseligkeit gab, findet Forell; stattdessen gebe es „große Hilfsbereitschaft“, vor allem im Umfeld der Kirchen. Vergessen werden dürfe aber nicht, dass laut Studien bis zu einem Drittel der Bevölkerung Ausländer ablehnt. Die AfD übrigens zählt die Initiative einstweilen zu den Rechtspopulisten, nicht zu verwechseln mit Radikalen.
Das Schweigen des Hans-Peter Fischer
Zu letzteren darf man einem Gerichtsurteil zufolge den Bibliser Politiker Hans-Peter Fischer zählen, dessen Freie Liste große Wahlerfolge feiern konnte. Dass dieser sich seit einiger Zeit merklich zurückhält, darf als zweiter Grund für die Entspannung an der Bergsträßer Rechtsfront gelten. Manfred Lang erklärt dies unter anderem mit einer Unterlassungsverfügung und einer Auflage, Gegendarstellungen in seinen Publikationen zu drucken. „Fischer hat daraufhin den Betrieb eingestellt, auch seine Homepage ist tot.“
An seinen Einstellungen aber habe sich nichts geändert, und ähnliches Gedankengut entdeckt auch Manfred Forell immer wieder in der Kreis-Politik: In Heppenheim zählten die „Starkenbürger“ zu diesem Spektrum, im Kreistag zumindest die Hälfte der „Bürgerunion“.
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