Von Bärbel SchwitzgebelWIESBADEN - „Jule, Julia, Julischka“ nennt Frank Witzel sein Theaterstück und im wirklichen Leben sind das Jule Böwe, Julia Riedler und Julischka Eichel, drei herausragende Darstellerinnen, Ensemblemitglieder großer Bühnen, mit Schauspielpreisen bedacht und auf der Leinwand präsent.
Dass wir sie jetzt in Wiesbaden erleben konnten, verdankt man ausnahmsweise mal nicht den Festspielen, sondern den Wiesbadener Literaturtagen und ihrem Kurator. Er hat ihnen das Stück nicht nur gewidmet, sondern grandios auf den Leib geschrieben und nun in einer „Ur-Lesung“ (Dramaturgie Thomas Martin) im Kleinen Haus präsentiert. Dass er sich selbst dann am Ende des Abends ob des Dargebotenen nicht nur dankbar, sondern auch (fast) sprachlos zeigte, braucht nicht weiter zu verwundern. Das Publikum quittiert es mit nachdrücklichem Applaus.
Alles beginnt ganz harmlos
Dabei beginnt alles ganz harmlos. Drei Schauspielerinnen treffen sich auf einer Probebühne. Sie sind zum Vorsprechen eingeladen. Ihre Lesemanuskripte immer im Blick sinnieren sie lapidar über die Rollen: Was ist das eigentlich für ein Stück? Kann man mit der Figur etwas anfangen? Die Protagonistin, die ist doch Ärztin? „Wie kommst du denn darauf?“ Augenrollen, genervte Blicke. Eigentlich hat man ja ganz andere Probleme.
Julischka monologisiert geschwätzig, theatralisch, bühnenreif auch im scheinbar Privaten über die eigene Krankengeschichte und die Empfindlichkeit gegenüber Körpergerüchen. Jule muss nebenbei per Handy mit der Kita verhandeln, während Julia, scheinbar gelassen, arrogant feministische Thesen zum Besten gibt. Plattitüden über das Leben und die Kunst werden ausgetauscht und gleich wieder ironisiert. Das hier scheint Gesellschaftskomödie vom Feinsten zu sein. Und dann gibt es noch Auszüge aus „Pioniere in Offenbach“, für das Jule und Julischka ebenfalls mal vorgesprochen haben und ein winziger Stift über den Mund gelegt reicht, um aus Jule Böwe einen cholerischen Hausmeister zu machen. So einfach kann großes Theater sein. Doch: „Kein Text besteht nur aus dem, was da ist.“ Wie wahr.
Die Diskussion wird emotionaler, persönlicher und geht schon mal unter die Gürtellinie und auch wenn das verfremdende Requisit Rollenskript weiterhin nicht aus der Hand gelegt wird. Bis Julia, die bis dahin perfekt die Coole gegeben hat, sich outet: sie sei gar keine Schauspielerin. Behauptet es, tritt ins Rampenlicht und führt die Performance mit Selbstentblößungsmonolog aus ihrem Tagebuch mindestens genauso perfekt fort. Natürlich haben auch die anderen beiden eine Generalabrechnung mit dem Leben, Einsamkeit und Verlassensein drauf und das nicht nur, weil Julia Jule ein Messer an den Hals setzt. Aber wenn Text- und Tagebuch zusammenfallen, weiß man plötzlich wirklich nicht mehr, wo die Rolle aufhört und die Realität beginnt. Nur dass man es auf der Bühne viel leichter hat: „Da kann man abgehen, wenn man nicht mehr weiter weiß. Aber in Wirklichkeit ist das alles ganz anders. Wo soll man denn hingehen? Wohin soll man denn abgehen?“
Frank Witzel, den Darstellerinnen und dem Theaterpublikum wünscht man an diesem Abend jedenfalls, dass sie mit „Jule, Julia, Julischka“ noch von vielen Bühnen abgehen.
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