Von Julia AndertonWIESBADEN - Ohne diese Frage kommt kein Partyspiel aus: Was nimmt man bloß auf eine einsame Insel mit? Sonnenmilch natürlich, ein gutes Buch. Der Rest ist Nebensache. Zumindest in „Robinson Crusoe – oder aus der Ferne erscheint Vieles einigermaßen schön“ von Bernhard Studlar nach Daniel Defoe, das in der lebendigen Zwei-Mann-Inszenierung von Dirk Schirdewahn für Zuschauer ab elf Jahren als Produktion des Jungen Staatstheaters im Hessischen Staatstheater Premiere feierte.
Raus aus dem Mittelschicht-Mief
Protagonist Kai will nicht Papas Betrieb übernehmen, sondern raus aus dem Mittelschicht-Mief und vor allem berühmt werden. Wofür? Das weiß er selbst nicht, ist heutzutage ja auch unwichtig. Hauptsache Rampenlicht! Da kommt ihm das Casting von Super TV gerade recht: Der Gewinner wird auf eine Insel verschifft, wo er ein Jahr lang vor Kameras lebt und anschließend eine Millionengage erhält. Es klappt. Die Test-Kakerlake soll Kai schon vorher essen. Wie schlimm kann es also werden?
Nicht vorbereitet auf das dicke Ende
Guido Schikore setzt trotz seines unverkennbaren komödiantischen Talents an den richtigen Stellen behutsam leise Akzente und gibt Kai als sympathisch-unbedarften großen Jungen, dessen Abenteuerlust und der Wunsch nach Anerkennung ein brodelndes Gemisch ergeben, das jeden Gedanken an die Risiken dieses Experiments ebenso wie seine sozialen und familiären Bindungen zum Verpuffen bringt. Mit leuchtenden Augen lässt er ihn die exotischen Früchte, die unbekannten Tierarten auf Robinson Island bestaunen, singt dem türkisblauen Meer und dem weißen Strand sein Liebeslied und ist freilich so gar nicht auf das dicke Ende vorbereitet.
Als die Quote nach einigen Wochen in den Keller geht, wird die Sendung abgesetzt und Kai auf der Insel vergessen. Nach 28 Jahren schließlich entdeckt der aufstrebende Jungredakteur Gustav Freitag zufällig die uralten Aufnahmen und beschließt, Kai mit großer medialer Inszenierung zu retten und sich sodann als dessen Manager eine goldene Nase zu verdienen. Tom Gerngroß tritt mit subtil überheblicher Note konsequent als Gegengewicht zum übersprudelnd-naiven Kai auf, dem er Loyalität vorgaukelt, ihn aber hemmungslos vermarktet.
Angewidert von der Sensationsgier seiner Mitmenschen in dieser fremden Welt („Ist Alexa die Schwester von Siri?“) will Kai nur noch auf seine stille Insel zurück, die er jahrelang ob ihrer Einsamkeit verflucht hat. Endlich berühmt ist er von aller Welt begafft einsamer als je zuvor: Die Freundin hat nicht auf ihn gewartet, der demente Vater erkennt seinen Sohn nicht mehr. Die amüsante Mediensatire mit gut dosierten Effekten (sei es die stürmische Überfahrt oder die All-Inclusive-Berieselung auf der zum Ferienclub umfunktionierten Insel) und einem raffinierten, komplett aus Kartons bestehenden Bühnenbild (Ausstattung: Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert) ist ein ebenso kluges wie unterhaltsames Lehrstück, das sein Publikum den Wahnsinn der Reality-Shows mit anderen Augen betrachten lassen dürfte. Langer Applaus und Bravo-Rufe im Studio.
Bitte loggen Sie sich ein, um einen Kommentar zu diesem Artikel zu verfassen. Debatten auf unseren Zeitungsportalen werden bewusst geführt. Kommentare, die Sie zur Veröffentlichung einstellen, werden daher unter ihrem Klarnamen (Vor- und Nachname) veröffentlicht. Bitte prüfen Sie daher, ob die von Ihnen bei ihrer Registrierung angegebenen Personalien zutreffend sind.
Die Zeichenzahl ist auf 1700 begrenzt. Die Redaktion behält sich vor, den Kommentar zu sichten und zu entscheiden, ob er freigeschaltet wird. Kommentare mit rechts- oder sittenwidrigen Inhalten, insbesondere Beleidigungen, nicht nachprüfbare Behauptungen, erkennbare Unwahrheiten und rassistische Andeutungen führen dazu, dass der Kommentar im Falle der Sichtung nicht freigeschaltet, ansonsten sofort gelöscht wird. Wir weisen darauf hin, dass alle Kommentare nach einigen Wochen automatisch wieder gelöscht werden.
Die Kommentare sind Meinungen der Verfasser.