Von Annette Krämer-AligTRAUTHEIM - Galeristen hängen ihre Ausstellungen selten chronologisch oder nach inhaltlichen Kriterien. Ihr Ziel muss das Hervorheben von Ästhetik im Raum sein. Im Fall ihrer neuen Ausstellung mit Plastiken und Zeichnungen von Lutz Brockhaus (1945–2016) ist es Christine und Reinhard Lattemann jedoch mit genau dieser Galeriehängung gelungen, sowohl die verblüffenden stilistischen wie inhaltlichen Kontinuitäten als auch die steten Entwicklungen im Werk des Darmstädter Bildhauers in ein kunsthistorisches Licht zu rücken: Im Neben- und Miteinander baut sich wie von selbst eine Linie auf.
Die Schau ist ein knapper Überblick über 43 (!) Jahre seines vielfältigen Schaffens. Früh-, Haupt- und Spätwerk werden in Groß- und Kleinplastiken, Reliefs, Kohlezeichnungen und Aquarellen lebendig. Eine der großen Qualitäten dieses Künstlers ist es dabei, mit Stilmitteln frei spielen zu können. Das belegen die Zeichnungen: hier klassische Kohle-Vorzeichnungen eines Bildhauers, da aber auch sehr freie, malerische Aquarelle. Seinen Bronzen und Marmorskulpturen gibt Brockhaus einerseits eine klare, fast klassische Statuarik mit tradierten Inhalten wie Körper, Philosophie, Symbolik. Andererseits verhaftet er sie auch fest in der Formenwelt der deutschen Nachkriegsjahrzehnte, überlängt Außenformen, nimmt Gesichtern ihre Individualität, lädiert Oberflächen, um mit derlei Stilmitteln zusätzliche Qualitäten wie Nachdenklichkeit, Romantik oder Ironie herauszuarbeiten.
- WANN UND WO
Die Ausstellung ist bis 13. Mai in der Trautheimer Galerie Lattemann, Papiermüllerweg 7, zu sehen. Geöffnet ist jeweils Mittwoch bis Freitag 16 bis 19 Uhr, Samstag 11 bis 14 Uhr und Sonntag 15 bis 18 Uhr. (aka)
Offenen Witz beweisen beispielsweise die drei bemalten Stuck-Stelen der „Massimo-Gesellschaft“ von 1980. Sie kommen wie Karikaturen der Intellektuellen-Gesellschaft daher, die sich seit Jahrzehnten im deutschen Kulturinstitut Villa Massimo in Rom bei Stipendienaufenthalten unter staatlicher Ägide trifft. Ihre Sockel bröckeln oder werden zu Phalli, ihre anmaßende Mimik verlockt zum Lächeln – und Lutz Brockhaus durfte hier wohl auch deshalb spötteln, weil er selbst 1979 mit dem Preis der Villa Massimo ausgezeichnet worden war.
Weit tragischer scheint dagegen die Ironie, wenn er 2014 der im Körper sehr schönen Bronze „Afrika II“ einen schwarzlasierten Kopf verleiht, der in seinen eher primitiven Formen an alte afrikanische Kunst erinnern könnte, aber auf europäische Vorurteile Afrikanern gegenüber abzielt. Lyrisch-hintersinnig sind Arbeiten wie der „Sardische Flötenspieler“ oder der „Jongleur“ aus den Achtzigern und vor allem die Serie der Monde (1999 bis 2001). Diese wirken wie Übersetzungen des nächtlichen Erlebens auf dem Balkon: Sie sind von der Grundform her Reifen, aber wie im natürlichen Mondzyklus mal mehr, mal weniger angeschnitten. Außen hochglänzend poliert und innen mit dunklen Gesichtern geschmückt, scheinen sie Geschichten vom Mann oder der Frau im Mond zu erzählen.
Lutz Brockhaus und Rom: Diese besondere Beziehung wird in den drei großen Marmor-Skulpturen zum Colosseum aus dem Jahr 1980 offenbar. Aus jeweils nur einem Block arbeitete er durch Kombination sehr verschiedener Inhalte – hier etwas Architektur, daneben verschachtelt ein Stück Bein, dort eine Frau, die alles zusammenhält – bezeugt er sowohl Hochachtung als auch Skepsis gegenüber diesem Monumentalbau der Antike und den bluttriefenden Geschehnissen, die dort von den Römern inszeniert wurden.
Die liebevolle Auseinandersetzung mit dem Phänomen Frau zieht sich durch Brockhaus’ Œuvre. „Lulu“, die älteste Bronze im Raum aus dem Jahr 1972, ist die Büste einer anmutigen Nackten, die verführerisch eine Haarsträhne anhebt: sehr gegenständlich in ihren gerundeten, glatten Formen und sehr in sich geschlossen; sie ist ein unfassbares Ideal.
Ganz anders dagegen die beiden Figuren der Tänzerin Teorema (1998). Dieser Frau wurde jede Vollendung genommen, ihre Oberflächen wurden an vielen Stellen aufgebrochen, lädiert, verformt. Bei der einen scheint dabei zusätzlich jede Weiblichkeit angegriffen, sie wirkt wie erstarrt, es fehlen die Füße, die tanzen könnten, und ihre Beine werden von einem Stoff fast geknebelt. Erzählt sie von Verlusten der Moderne?
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